03 Arthur und die Stadt ohne Namen
durfte höher als das andere sein, damit niemand auf das Dach des Nachbarn herabschauen konnte«, erklärte Hayyid. »Und viele der Häuser sind durch Galerien oder übers Dach miteinander verbunden, damit man sich beim Nachbarbesuch das Treppensteigen spart. In den Obergeschossen befinden sich die Männerräume, darunter die der Frauen und Kinder.«
Nach einem ausgedehnten Stadtbummel fuhren wir in die Neustadt, wo Hayyid vor einem offenen Schneiderladen hielt. An den Wänden waren Stoffballen aus Seide oder Baumwolle aufgestapelt. Wir hatten das Geschäft kaum betreten, als zwei Männer auf uns zustürzten und wild auf uns einredeten. Hayyid antwortete etwas und deutete auf mich. Einer der Männer zog ein Maßband heraus und begann, meine Körpermaße zu nehmen, die er seinem Kollegen zurief, der sie in einer alten Kladde notierte.
Dann wurde ich zu den Stoffballen gebeten, um mir das passende Material auszusuchen. Ich entschied mich für einen sandfarbenen Stoff. Der Schneider beglückwünschte mich zu meiner Wahl und versprach uns, dass mein Thawb am nächsten Tag fertig sein würde.
Hayyid führte uns einen Laden weiter, wo wir uns jeder ein Kopftuch aussuchen sollten. Auch hier empfing uns eine verwirrende Vielfalt: Es gab Tücher aus Wolle oder Baumwolle, mit oder ohne Fransen und in unzähligen Farben und Mustern. Larissa entschied sich für ein Tuch mit gelbweißem Muster, ich für Rotweiß. Hayyid bestand außerdem darauf, dass ich einen Kamelstock kaufte. Ich hatte bereits bei den Männern im Lager bemerkt, dass jeder von ihnen damit ausgerüstet war.
Wir kehrten zum Lager der Bedu zurück und hockten uns unter eine Akazie, wo Hayyid uns zeigte, wie man das Tuch richtig um den Kopf wickelte. Es dauerte eine Weile, bis wir den Bogen raushatten. Die ganze Zeit umringte uns eine Schar von Kindern und Jugendlichen, die unsere vergeblichen Versuche mit lautem Lachen begleiteten.
So verging der Tag wie im Flug. Gegen Abend fuhr man ein großes Essen auf. Zu unseren Ehren hatte Hayyids Onkel zwei Ziegen schlachten lassen. Dazu gab es Reis und Gemüse, die in großen Kesseln über Feuern gekocht wurden.
Die Mahlzeit wurde in einer ausladenden Schüssel serviert. Unten lag der Reis, obendrauf waren die Fleischstücke gestapelt. Wie üblich gab es weder Messer noch Gabel. Mein erster Happen war eine schmerzhafte Erfahrung. Der Reis war kochend heiß, und ich verbrannte mir die Hand, als ich direkt hineingriff. Ich beobachtete die Bedu, die vorsichtig eine Handvoll Reis von der Oberfläche abstreiften und diese mit ihren Fingern geschickt zu einer Kugel formten. Nach ein wenig Übung klappte das auch bei mir.
Unsere Gastgeber legten uns von dem Fleisch die saftigsten Stücke vor. Das war eine besondere Ehre, wie uns Hayyid erklärte. Leider, denn es waren durchweg Innereien, die vor uns landeten. Trotz unseres Widerwillens blieb uns nichts anderes übrig, als das Fleisch zu verzehren. Anschließend tanzten einige Bedu um das Feuer und warfen dabei ihre Gewehre hoch in die Luft. Als uns Hayyid spätabends zu unserer Pension brachte, waren wir hundemüde und schliefen sofort ein.
Am nächsten Morgen gab es noch immer keine Neuigkeiten von Chalid. Auch unsere Handys fanden kein Netz, wie es Maurice prophezeit hatte. Hayyid brachte uns wieder ins Lager der Bedu, wo eine besondere Überraschung auf uns wartete: Wir sollten auf den Kamelen reiten.
»Jeder, der in der Wüste ist, sollte mit einem Kamel umgehen können«, erklärte Hayyid. »Man weiß nie, wozu man es brauchen kann.«
Vorsichtig näherte ich mich dem Pferch. Von so nah sahen die Tiere riesig aus. Sie würdigten mich keines Blickes, und ich fragte mich, ob ich da wirklich raufmusste.
Ali, ein junger Beduine, der vielleicht so alt war wie ich, holte eines der Tiere aus dem Pferch und brachte es dazu, sich hinzulegen. Er zog das Halfter scharf nach unten, klopfte mit seinem Kamelstock vor die Füße des Tieres und stieß dabei einen gutturalen Laut aus. Das Kamel ging mit den Vorderbeinen in die Knie, senkte dann das Hinterteil und schob anschließend die vorderen Knie nach vorne, bis es auf seiner Brust lag.
Ali band das Halfter mit einer schnellen Bewegung um eines der abgeknickten Vorderbeine. Dann winkte er einem Freund, der mit einem Stapel von Seilen und Decken auf den Armen herbeikam. Als das Kamel dies sah, versuchte es sofort aufzuspringen, aber Ali hielt es mit einem kräftigen Ruck am Halfter in seiner Position. Das Kamel brüllte
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