03 Arthur und die Stadt ohne Namen
sollen?
»Warum fahren wir eigentlich tagsüber und nicht in der Nacht, wenn es kühler ist?«, fragte ich Hayyid einmal.
»Weil ich sehen muss, wo wir hinfahren«, erwiderte er.
»Aber es ist doch immer dasselbe: Sand, Sand und noch mal Sand.«
Er lächelte. »Sand ist nicht gleich Sand. Das Leere Viertel ist berüchtigt für seinen Treibsand. Wenn man da einmal drinsteckt, kommt man nur schwer wieder raus. Und selbst wenn – wir würden den Anschluss zu unseren Vorderleuten verlieren.«
»Woran erkennt man den Treibsand?«, wollte Larissa wissen.
Hayyid lachte. »Wer kein Bedu ist, kann ihn nicht von normalem Sand unterscheiden. Für uns sieht er einfach ...« Er überlegte kurz. »Er sieht einfach anders aus«, vollendete er seinen Satz.
Er erklärte uns, dass der Treibsand in der Rub al-Khali eigentlich gar kein Sand ist, sondern eine Salzlösung. »Ein Loch im Boden füllt sich mit einer Mischung aus Salz und Sand, die vom Wind angeweht werden. Wenn dann die Sonne darauf scheint, bildet sich eine feine weiße Salzkruste auf der Oberfläche. Diese wird vom Wind mit einer neuen Sandschicht überweht. Wenn man versehentlich darauf tritt oder fährt, bricht die Salzkruste durch und man sackt in die Salzlösung ein.«
Am dritten Tag in der Wüste hingen mir der ewige Sand und das gedörrte Kamelfleisch zum Hals heraus, und ich hoffte, wir würden bald den Schlupfwinkel der Ausgestoßenen erreichen. Das ewige Auf und Ab der Dünen kam mir vor wie die Wellenberge des Ozeans, und mehr als einmal hatte ich in den vergangenen Tagen das Gefühl gehabt, seekrank zu werden.
Es schien so, als sollte mein Wunsch in Erfüllung gehen, denn um die Mittagszeit rief Larissa: »Sie halten.« Wir pausierten ebenfalls. Wenn es nach unseren Erfahrungen der letzten Tage ging, dann würden sie nach etwa einer Stunde ihre Fahrt fortsetzen. Aber diesmal geschah nichts dergleichen.
Wir warteten bis zum späten Nachmittag. Als sich bis dahin nichts getan hatte, war klar, dass wir uns kurz vor unserem Ziel befinden mussten.
»Wie weit sind sie von uns entfernt?«, fragte ich Larissa.
Sie warf einen Blick auf ihr Handy. »Etwa zwei Kilometer«, sagte sie.
»Das ist zum Laufen zu weit«, erklärte Hayyid. »Wenn es dunkel ist, werden wir etwas näher heranfahren und dann ihr Lager auskundschaften.«
»Ich hoffe nur, dass unsere Vermutung stimmt und Chalid wirklich im Dienst der Schatten steht«, sagte ich. »Wenn wir die ganze Reise umsonst gemacht hätten …«
Ich sprach den Gedanken nicht zu Ende aus. Auch Larissas Anspannung wuchs. »Selbst wenn er nichts mit den Schatten zu tun hat – was ich nicht glaube –, dann muss er wissen, was damals in der Wüste tatsächlich mit meinen Eltern geschehen ist«, erwiderte sie. »Er wird uns zu ihnen führen, das weiß ich.« Sie konnte keine Minute stillsitzen. Sie stand auf, lief im Kreis herum, setzte sich wieder, fummelte an ihrer Umhängetasche herum, stand wieder auf, untersuchte etwas am Landrover, setzte sich wieder, streckte sich aus und erhob sich erneut. Allein vom Zusehen wurde ich ganz nervös.
Schließlich brach die Nacht herein. Hayyid fuhr den Landrover langsam bis auf wenige Hundert Meter an unser Ziel heran. Die Scheinwerfer hatte er ausgeschaltet und wir rollten nur im Sternenlicht über den Sand.
Larissa wollte ihre Umhängetasche mit dem Buch der Leere mitnehmen, aber Hayyid war strikt dagegen. »Wir müssen ihr Lager beschleichen, und eine Tasche ist dabei nur hinderlich.« Nach einigem Hin und Her willigte Larissa schließlich ein, sie im Auto zu lassen. Es war das erste Mal seit Edinburgh, dass wir das Buch aus den Augen ließen. Doch wer sollte es hier, mitten in der Wüste, schon stehlen?
Ich hatte mich von meiner Beduinenkleidung getrennt und mir für unsere Erkundung wieder Hemd und Hose angezogen. Hayyid schloss den Landrover ab. Hintereinander schlichen wir durch den Sand um eine große Düne herum. Vor uns ragte eine weitere Dünenreihe auf.
»Dahinter muss es sein«, flüsterte Larissa. Hayyid nickte. Am Fuß der Düne gingen wir zu Boden und robbten die Anhöhe so leise wie möglich hinauf. Dann hoben wir vorsichtig unsere Köpfe über die Kuppe.
Von hier aus konnten wir das ganze Lager überblicken. Es musste sich um eine der seltenen Oasen in der Rub al-Khali handeln, denn es gab sowohl Akazien als auch Gras. Zur Linken lag ein Ziehbrunnen, vor dem sich ein halbes Dutzend offener Zelte erstreckte. Auf einer großen Feuerstelle hingen zwei
Weitere Kostenlose Bücher