03 Arthur und die Stadt ohne Namen
Anstatt der Haare krochen lange Würmer auf seinem Schädel herum und die Augenhöhlen klafften schwarz und leer. Die Arme saßen nicht seitlich am Körper, sondern am Rücken zwischen den Schulterblättern und endeten in zwei Klauen mit gekrümmten Nägeln. Einer anderen Kreatur wuchs anstelle des Mundes eine Schnauze wie die eines Krokodils aus dem Gesicht, an deren Seite der Geifer herabtropfte.
Ich hoffte inbrünstig, dass es sich hierbei nicht um eine Abbildung dessen handelte, was uns in der Stadt ohne Namen erwartete.
Im Schatten des Vorbaus erkannten wir zwei gewaltige Holztüren, die so hoch waren, dass wir ihre Oberkante von unserem Beobachtungspunkt aus nicht sehen konnten.
Das musste der Eingang zur Stadt ohne Namen sein.
Vorsichtig gingen wir die Düne herab. Hatten wir es zuvor noch eilig gehabt, diesen Ort zu erreichen, so bewegten wir uns jetzt langsam. Ich spürte die Kraft, die von diesem Ort ausging, und zugleich seine Verkommenheit. Deshalb drängte es mich nicht, ihn zu betreten.
Als wir am Fuß der Düne angekommen waren, sahen wir, dass einer der beiden Türflügel einen Spalt weit geöffnet stand.
»Fällt euch was auf?«, fragte Larissa. »Hier unten ist es totenstill.«
Es stimmte. Bislang hatten wir zwar nie laute Geräusche in der Wüste gehört, aber irgendwo rieselte immer ein Sandkorn eine Düne herab, schob ein Skorpion oder ein anderes Wüstentier einen Stein beiseite oder rieb sich der Wind an den Dünenkuppen. Von alldem war an diesem Ort nichts zu vernehmen. Selbst unsere Stimmen klangen seltsam stumpf, so als würde die Luft sie verschlucken.
Vorsichtig näherten wir uns der riesigen Tür. Ich war froh, als wir zwischen den hohen Säulen standen und das Relief nicht mehr sehen konnten. Aus dem geöffneten Türspalt schlug uns ein kühler Hauch entgegen.
Ich schluckte. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Wenn wir diese Pforte erst einmal durchschritten hatten, gab es kein Zurück mehr. Ich konnte förmlich spüren, wie die Schatten dahinter auf uns lauerten. Jetzt musste sich beweisen, ob das Buch der Leere uns auch an diesem Ort schützen würde.
Hayyid machte als Erster von uns einen Schritt auf die Tür zu.
»Halt!«, rief Larissa. »Wir gehen ohne dich rein.«
»Oh nein«, antwortete er. »Ich lasse euch nicht allein. Ich bin nicht mitgekommen, um jetzt vor der Tür auf euch zu warten.«
»Gegen die Schatten ist es gleichgültig, ob wir zu zweit oder dritt sind«, widersprach ihm Larissa. »Außerdem wissen wir nicht, ob das Buch der Leere dich ebenso schützt wie uns. Und falls wir nicht wieder rauskommen, musst du meine Eltern in Sicherheit bringen.«
»Aber ...«, setzte Hayyid an.
»Larissa hat recht«, pflichtete ich ihr bei. »Du bist hier draußen wichtiger als da drin.«
Man sah ihm an, dass ihm das nicht gefiel. Aber er hatte auch keine überzeugenden Gegenargumente zur Hand. Zögernd machte er einen Schritt von der Tür weg.
»Warte beim Auto auf uns«, sagte Larissa. »Wenn wir in vierundzwanzig Stunden nicht zurück sind, musst du meine Eltern aus dem Lager schmuggeln und mit ihnen verschwinden.«
»Und wenn sie nicht mitwollen? Was soll ich tun, wenn sie darauf bestehen, euch zu helfen?«
»Das ist deine Aufgabe, sie zu überzeugen, es nicht zu tun.« Für Larissa war die Diskussion damit beendet.
Hayyid machte ein unglückliches Gesicht. »Das gefällt mir nicht.«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mir gefällt es genauso wenig. Aber es ist der richtige Weg.«
Er umarmte jeden von uns und wünschte uns alles Gute. Dann machte er sich auf den Rückweg die Düne empor.
»Wollen wir?«, fragte Larissa. Ich nickte.
Und wir betraten die Stadt ohne Namen.
Doppeltes Wiedersehen
In der Halle war es kühl.
Es war keine schattig-angenehme Kühle, sondern die Ahnung einer Kälte, die uns aus der Tiefe entgegenschlug.
Gerade noch hatte ich in der brennenden Sonne geschwitzt. Jetzt bekam ich eine Gänsehaut.
Wir nahmen unsere Sonnenbrillen ab, um in dem Dämmerlicht besser sehen zu können. Die Halle war schmucklos. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Torbogen, der einzig sichtbare andere Ausgang.
Vorsichtig durchquerten wir den Raum. Je näher wir dem Torbogen kamen, desto kälter wurde es. Dahinter lag eine gewaltige Höhle, die in ein dämmrig-blasses Licht getaucht war. Ein Serpentinenpfad, dessen Ende wir nicht sehen konnten, führte in die Tiefe. Zur linken Seite trennte nur eine kniehohe Felswand den Weg
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