03 Arthur und die Stadt ohne Namen
Hände über den Kopf zurückgebogen.
Seine Schmerzensschreie mischten sich in das lärmende Getöse. Mit letzter Kraft holte er aus und warf das Buch der Leere nach unten.
Mit einem Hechtsprung war ich dort und griff mit dem ausgestreckten Arm danach. Ich bekam es an einer Ecke zu fassen, gerade als eine unsichtbare Hand es zu greifen versuchte. Ich drückte die Finger so fest wie nur möglich um den Band, konnte aber nicht verhindern, dass mein Arm immer weiter nach oben gezogen wurde. Meine Zehen berührten kaum mehr den Boden.
Würde mir das Gleiche widerfahren wie dem Bibliothekar? Noch hielt ich das Buch fest, aber ich spürte, wie meine Finger unter dem Gewicht meines Körpers abrutschten. Ich war kurz davor loszulassen, als der Zug am anderen Ende aufhörte. Ich fiel zu Boden und drückte das Buch an mich.
Das Geheul hatte eine andere Tonlage angenommen und klang jetzt eher wütend und frustriert als drohend. Das Buch der Leere schützte mich! Ich sprang auf und streckte es Larissa hin, die es an der anderen Seite fasste.
Das Wutgeheul steigerte sich. Der Bibliothekar wurde wie eine Puppe in der Luft hin und her gebogen und dann mit aller Macht vor uns zu Boden geschleudert. Sein lebloser Körper verursachte beim Aufprall ein dumpfes Geräusch.
Ich drehte mich um. Amina und Hayyid standen da wie vom Donner gerührt.
»Lauft!«, rief ich ihnen zu. »Seht zu, dass ihr rauskommt!«
Ohne ihre Reaktion abzuwarten, packte ich den Arm des Bibliothekars und schleifte ihn rückwärts auf das nächste Haus zu. Mit der anderen Hand hielt ich das Buch und zog Larissa hinter mir her.
»Meine Eltern!«, schrie sie und ließ das Buch los.
»Larissa!«, brüllte ich. »Ohne das Buch bist du machtlos!«
Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde – und beinahe wäre das zu lange gewesen. Die Beine wurden ihr unter dem Körper weg und in die Luft gerissen. Ich ließ den Arm des Bibliothekars fallen und machte einen Satz auf sie zu, das Buch der Leere ausgestreckt in der Hand.
Sie bekam es gerade noch zu packen. Sofort stürzte sie wieder auf die Erde zurück.
Ich griff erneut den Arm des Bibliothekars. Langsam bewegten wir uns nach hinten, Larissa trug den Koffer, ich schleifte den obersten Bewahrer über den Boden. Von Schritt zu Schritt wurde ich schwächer. Es war das schleichende Gift des Buches der Leere, das auf mich einwirkte. Mit aller Kraft wehrte ich mich dagegen, aber wie lange konnte ich das durchhalten?
Mit einem Mal verstummte das Geheul und wir blickten überrascht zur Arena. Mit den Schatten ging etwas vor sich. Die sieben Bibliothekare schienen sich vor unseren Augen aufzulösen. Ihre Körper zuckten. Knochen schoben sich unter der Haut, die sich dehnte wie Gummi, vor und zurück. In der plötzlichen Stille hörten wir das Knirschen von Gelenken und das Reiben von Knochen.
Schließlich standen Larissas Eltern, der Bücherwurm sowie Kopien von Larissa, Hayyid, Amina und mir vor uns. Bis auf die schwarzen Augen sahen sie täuschend echt aus.
»Larissa!«, rief die Gestalt, die aussah wie ihr Großvater, mit flehender Stimme. »Komm zu mir, Kind.«
Obwohl wir wussten, dass alles nur eine Täuschung war, konnten wir unsere Blicke nicht von den vertrauten Gestalten abwenden. Auch Amina und Hayyid starrten mit weit aufgerissenen Augen auf ihre Doppelgänger.
Jede Sekunde, die wir hier standen, kostete mich mehr von meiner Energie. »Flieht!«, rief ich Hayyid und Amina noch mal zu und stieß Larissa an. Der Körper des Bibliothekars war schwer wie Blei, und ich hatte das Gefühl, mein Arm würde gleich aus dem Gelenk springen, aber wir schafften es bis zur Tür des ersten Hauses. Ich stieß sie mit dem Fuß auf und zerrte den Bewahrer hinein.
Gegen die Macht der Schatten waren die Wände des Gebäudes wahrscheinlich nutzlos. Trotzdem fühlte ich mich hier ein wenig sicherer als auf dem freien Platz. Ich ließ den Bibliothekar los und schüttelte gerade meinen schmerzenden Arm, als wir einen lauten Schrei hörten.
Wir sahen aus der Tür. Etwa zehn Meter von uns entfernt stand Hayyid mit dem Rücken zu uns, das Gewehr im Anschlag. Es war auf Chalid und seine vier Männer gerichtet, die den Weg zum Ausgang blockierten. Chalid hatte Amina im Würgegriff und setzte ihr gerade seinen Krummdolch an die Gurgel. Seine Leute hatten ebenfalls ihre Waffen angelegt.
Wie auf Kommando verstummte das Heulen der Schatten.
»Gebt die Bücher heraus, oder das Mädchen stirbt!«, rief Chalid in gebrochenem
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