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03 Arthur und die Stadt ohne Namen

03 Arthur und die Stadt ohne Namen

Titel: 03 Arthur und die Stadt ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruebenstrunk Gerd
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mit Schals und Handschuhen fertig für den Fußmarsch zum Krankenhaus. Kurz nach dem Mittagessen hatte es wieder zu schneien begonnen. In drei Wochen war Ostern, doch der Winter zeigte keinerlei Bereitschaft, sich zurückzuziehen. Das eisige Wetter unterstrich die Kälte, die ich in mir aufsteigen spürte. Larissas Eltern verschollen, der Bücherwurm im Koma, der merkwürdige Bibliothekar im Haus, eine Konfrontation mit den Schatten in naher Zukunft – das reichte mehr als aus, um mich zittern zu lassen. Ich weiß nicht, wie es Larissa ging. Sie ließ sich nicht anmerken, was sie fühlte – oder vielleicht war ich einfach nur zu unsensibel, um es zu erkennen. Sie verfügte über die Gabe, geradewegs auf ein Ziel zuzumarschieren, ohne Rücksicht auf möglicherweise drohende Gefahren. Darum beneidete ich sie manchmal.
    Die Bürgersteige waren unter dem frisch gefallenen Schnee vereist, und wir mussten bei jedem Schritt achtgeben, um nicht auszurutschen. Vom Marktplatz aus nahmen wir eine Straßenbahn, die uns direkt vor der Klinik absetzte.
    Am Eingang der Intensivstation wurden wir von der Stationsschwester angehalten. Als sie hörte, zu wem wir wollten, schüttelte sie den Kopf.
    »Herrn Lackmanns Zustand ist noch nicht stabil genug. Und so, wie er jetzt aussieht, ist das kein Anblick für euch. Am besten, ihr kommt in ein paar Tagen noch einmal wieder.«
    Als sie merkte, wie unsere Gesichtszüge nach unten fielen, fügte sie hinzu: »Euer Großvater ist sowieso nicht ansprechbar. Ein Koma ist wie ein tiefer Schlaf. Er kann euch weder hören noch sehen und schon gar nicht mit euch reden.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Larissa. »Ich habe gelesen, dass Patienten im Koma durchaus merken, wer mit ihnen im Raum ist. Sie können nur nicht darauf reagieren.«
    »Das mag vielleicht stimmen, vielleicht auch nicht. Ich bin kein Arzt und du auch nicht. Es ändert nichts daran, dass ihr nicht zu ihm könnt. Selbst die Kriminalpolizei muss warten. Das hat der Chefarzt so angeordnet.«
    »Ich gehe nicht eher, bis ich meinen Opa gesehen habe.« Larissa setzte sich auf einen der drei Stühle vor der geschlossenen Milchglastür. »Notfalls bleibe ich die ganze Nacht hier.«
    Die Schwester setzte zu einer Erwiderung an, als der junge Arzt, der uns gestern kurz über den Zustand des Bücherwurms informiert hatte, durch die Glastür kam.
    Sofort sprang Larissa auf. »Bitte lassen Sie uns zu meinem Opa, nur fünf Minuten«, flehte sie ihn an.
    Der Arzt blickte fragend auf die Stationsschwester. Sie schüttelte leicht den Kopf. »Professor Günther hat angeordnet, dass der Patient nicht gestört werden darf.«
    Er überlegte kurz. Dann gab er uns einen Wink. »Ich übernehme die Verantwortung«, erklärte er zur Schwester gewandt. Die verkniff sich eine Antwort und nickte nur kurz.
    Wir folgten dem Arzt einen langen Gang entlang. »Als ich hier noch zur Schule ging, habe ich meine Bücher immer bei deinem Großvater gekauft«, sagte er zu Larissa. Er duzte uns wie zuvor die Stationsschwester, aber bei ihm hatte es eine ganz andere Bedeutung. Während es bei ihr herablassend geklungen hatte, war sein Du von der freundschaftlichen Art.
    Er hielt vor einem Zimmer am Ende des Gangs an. Im Raum stand nur ein einziges Bett, umgeben von allen möglichen technischen Geräten, auf denen rote Zahlen flackerten und sich grüne Balken hin- und herbewegten. Es summte unaufhörlich. Zwischen all diesen Maschinen sah der Bücherwurm einfach nur winzig aus.
    Lediglich sein Kopf und seine Arme, die auf der Bettdecke lagen, waren sichtbar. Um seinen Schädel hatte man wie einen Turban einen dicken Verband gewickelt, aus dem eine Reihe von Drähten herauskamen, die in irgendeiner der Gerätschaften hinter ihm verschwanden. An seinem Kinn und unter dem rechten Auge prangten zwei große Pflaster. Seine rechte Hand und der Unterarm waren eingegipst. In seinem linken Arm steckte ein dünner Schlauch, der mit zwei Plastikbehältern an einem Gestell neben dem Bett verbunden war, die irgendwelche Flüssigkeiten enthielten. An den Seiten liefen unter seiner Bettdecke verschiedene farbige Kabel heraus, die in einer der Maschinen endeten.
    Der Bücherwurm hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig vor sich hin. Es sah aus, als schlummerte er friedlich. Larissa war mit drei schnellen Schritten am Bett und ergriff die Hand ihres Großvaters.
    »Opa«, sagte sie, und ihre Stimme klang so, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Ich trat neben sie und legte

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