03 Arthur und die Stadt ohne Namen
gegenüber Larissa, waren sie nur verwirrend.
Es war fast Mitternacht, als ich endlich einen Flug für Montagnachmittag gefunden und gebucht hatte. Nachdem ich die Bordkarten ausgedruckt hatte, fuhr ich den Rechner herunter. Larissa saß noch vor ihrem Notebook.
»Was machst du?«, fragte ich sie.
»Ich habe mich über Koma informiert«, antwortete sie. »Wusstest du, dass in Deutschland allein jedes Jahr über 40.000 Menschen ins Koma fallen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Und was hast du sonst noch rausgefunden?«
Sie seufzte. »Es gibt jede Menge Informationen, aber ein Koma ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Man kann also nur schwer verallgemeinern. Zumindest gibt es viele Fälle, in denen die Patienten selbst nach jahrelangem Koma wieder völlig gesund erwacht sind.«
Ich rieb mir die müden Augen. »Das wird dein Großvater auch. Aber wir helfen ihm nicht dabei, wenn wir uns die Nacht um die Ohren schlagen. Vor allem, wenn wir in zwei Tagen fliegen.«
Ich sah, dass sie mindestens ebenso erschöpft war wie ich. Um ihre Augen liefen dunkle Ringe, und ich fragte mich, ob das bei mir wohl auch der Fall war.
»Du hast recht.« Sie stand auf und klemmte sich ihr Notebook unter den Arm. »Gute Nacht«, sagte sie und legte mir leicht die Hand auf die Schulter.
»Schlaf gut«, erwiderte ich und drückte kurz ihre Hand.
Während ich den Rechner herunterfuhr, fragte ich mich zum wiederholten Mal, wie wir es schaffen sollten, die Schatten zu besiegen. Der Bibliothekar würde uns nicht dabei helfen, das war sicher. Selbst wenn wir das Buch der Leere finden konnten: Wie mussten wir es einsetzen, um unsere Gegner zu überwältigen?
Vielleicht erfuhren wir ja auf unserer Reise mehr darüber. Hoffentlich. Denn ich wusste: Larissa würde das alles nicht davon abhalten, den Schatten gegenüberzutreten.
Eifersucht
Das Wochenende brachten wir mit Reisevorbereitungen zu. Ich trieb in einer Buchhandlung einen Reiseführer über Edinburgh auf und sammelte im Web weitere Informationen über unser Ziel. Wir stellten eine Wäscheliste zusammen und packten das, was nicht sauber war, in die Waschmaschine. Nachmittags besuchten wir Larissas Großvater auf der Intensivstation. An seinem Zustand hatte sich nichts geändert. Die körperliche Heilung schritt voran, aber sein Bewusstsein war noch nicht zurückgekehrt.
Der Bibliothekar blieb die meiste Zeit im Arbeitszimmer des Bücherwurms. Nur nach dem Frühstück am Sonntag kam es zu einem längeren Gespräch zwischen uns.
Er trug immer noch dieselbe Kleidung wie am Tag seiner Ankunft: einen grauen, abgeschabten Anzug, der ihm im Laufe der Jahre etwas zu knapp geworden war, darunter eine rote Weste und ein weißes Hemd mit abgestoßenem Kragen. Ich hoffte, er würde wenigstens seine Unterwäsche regelmäßig wechseln. Die Dusche hatte er, so weit ich das mitgekriegt hatte, bislang nicht ein Mal benutzt.
»Ihr solltet darauf gefasst sein, dass eure Reise nach Edinburgh gefährlicher wird als alles, was ihr bisher erlebt habt«, begann er. »Zudem könnt ihr in Edinburgh nicht unbedingt auf die Hilfe rechnen, die euch in anderen Städten zuteilwurde.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Larissa.
»Nun, ihr hattet bislang immer einen Helfer, egal, wohin ihr gekommen seid.«
Jetzt wusste ich, worauf er anspielte. Gerrit in Amsterdam, der Akkordeonspieler in Bologna, der Maure in Córdoba und Pomet in Dubrovnik – sie alle hatten uns bei der Erfüllung unserer Aufgaben geholfen.
Larissa zog denselben Schluss wie ich. »Heißt das, in Edinburgh gibt es niemanden wie Gerrit oder Pomet?«
Der Bibliothekar zögerte ein wenig mit der Antwort. »Es gibt schon jemand, wie überall, wo die Vergessenen Bücher versteckt sind. Allerdings handelt es sich um ganz unterschiedliche Charaktere. Bisher habt ihr nur die getroffen, die freundlich und hilfsbereit sind. In Edinburgh könnte das anders sein.«
»Also ein Ekelpaket«, sagte Larissa.
»Das habe ich nicht gesagt.« Er hob abwehrend die Hand. »Ihr solltet nur darauf vorbereitet sein, dass es in Edinburgh etwas schwieriger sein kann.«
»Was wissen Sie denn noch über unsere Helfer?«, fragte ich. Seit unserer Begegnung mit Gerrit beschäftigte es mich, wer diese Menschen wohl sein mochten, die so nach Belieben auftauchen und verschwinden konnten und merkwürdigerweise nie ihre Stadt verließen.
Anstatt meine Frage zu beantworten, stand er auf. »Es würde zu weit führen, das jetzt zu erklären«, sagte er knapp.
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