03 Arthur und die Stadt ohne Namen
legte einen zusätzlichen Schleier über die Stadt. Mehr denn je wirkte sie auf mich wie ein Ort der ewigen Dunkelheit, gegen die auch die Scheinwerfer der Autos oder die matt strahlenden Lichter der Geschäfte nichts ausrichten konnten.
Ich ahnte nicht, wie bald ich mich in diese düstere Umgebung zurückwünschen würde.
In der Unterwelt
Der Treffpunkt für die Tour war am Mercat Cross, gegenüber vom Rathaus. Als wir ankamen, stand bereits eine Handvoll Leute etwas ratlos um das Kreuz herum. Einige drückten sich so nah wie möglich an das Fundament, um dem Regen zu entgehen.
Kurz vor elf Uhr tauchte ein Mann mit rotem Anorak auf, der ein Klemmbrett in der Hand hielt. Wir nannten ihm unsere Namen, die er von seiner Liste abstrich. Offenbar hatte Campbell die Rechnung übernommen, denn wir mussten nichts bezahlen.
»Ihr stellt euch am besten da drüben hin«, sagte er und deutete auf einen überdachten Hauseingang hinter uns. »Eure Führerin wird euch gleich dort abholen.«
Wir folgten seiner Anweisung und drängten uns mit den anderen Teilnehmern unter dem kurzen Vordach zusammen. Es dauerte noch fast zehn Minuten, bis uns eine Frau in einem blauen Regenmantel aufforderte, ihr zu folgen. Sie stellte sich als Elizabeth vor und lispelte ein wenig, sprach ansonsten aber Englisch ohne jeden schottischen Akzent.
Die Gruppe trabte hinter ihr her die High Street entlang und bog dann in einen schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern ein, der steil hügelab führte. Der Boden war über und über bedeckt mit dem Dreck von Tauben, die wir über uns gurren hörten. An einigen Stellen roch es streng nach Urin.
Auf halbem Weg blieb Elizabeth stehen. »Früher war es ein echtes Abenteuer, durch diese Gassen zu gehen«, erklärte sie. »Edinburgh hatte damals kein funktionierendes Abwassersystem, und die Bewohner entsorgten ihre Fäkalien und anderen Müll auf die denkbar einfachste Weise: Sie schütteten das Zeug aus dem Fenster. Um Passanten vor der Bescherung von oben zu warnen, wurde vorher so laut wie möglich der Ruf Gardy-loo ausgestoßen. Das stammte wahrscheinlich vom französischen gardez l’eau ab, was so viel bedeutet wie ›Vorsicht vor dem Wasser!‹ Wenn unten gerade jemand vorbeikam, rief er so schnell er konnte Haud yer haun zurück, hold your hand , um dann umgehend Zuflucht in einem Hauseingang zu suchen. Ortsfremde, die den Brauch nicht kannten, machten häufig den Fehler, beim Ruf Gardy-loo nach oben zu schauen und dann die ganze Ladung direkt ins Gesicht zu bekommen. Das war nicht gerade förderlich für den Fremdenverkehr.«
Wir lachten und setzten unseren Weg fort. Am Fuß des Hügels mündete die Gasse auf die Cowgate. Es waren kaum Passanten unterwegs, so als würden alle diese dunkle Ecke meiden. Trotz der Gruppe, in der wir uns befanden, fühlte ich mich unwohl an diesem Ort. Direkt vor uns lag der einzige noch sichtbare Bogen der South Bridge.
Kurz vor der Brückenunterführung bogen wir links in eine kopfsteingepflasterte Straße ab, die den Hügel wieder emporführte. Nach wenigen Metern machte unsere Führerin vor einem Gebäude halt, in dem sich die Geschäftsräume von Mercat Tours befanden. Zwischen zwei Schaufenstern lag eine schwarze Holztür versteckt, die sie aufschloss. Durch einen schmalen Gang gelangten wir zu einer Treppe, die nach unten führte.
Jetzt wurde es ernst.
Ich weiß nicht, was ich hier unten erwartet hatte, aber der erste Eindruck war enttäuschend. Die Räume, die wir zuerst betraten, sahen nicht viel anders aus als normale Keller, wenn auch ohne Fenster. Einige trübe Leuchten oder Kerzen tauchten sie in ein schummriges Licht. Der steinige Boden war uneben, und die Wände bestanden aus dem nackten Mauerwerk. Lediglich an den gewölbten Decken konnte man erkennen, dass wir uns hier in einem Brückenbogen befanden.
Die ersten Räume, durch die wir kamen, sahen alle gleich aus. Elizabeth beleuchtete mit einer Taschenlampe Details der Konstruktion und erläuterte sie. Anfangs waren hier Handwerker eingezogen, die aber bald feststellen mussten, dass die Brücke nicht wasserdicht war. Als Folge floss bei starkem Regen Wasser durch die Decken und beeinträchtigte ihre Arbeit. Deshalb verschwanden die meisten von ihnen auch so rasch wieder, wie sie gekommen waren. Für die Ärmsten der Armen war die Feuchtigkeit aber immer noch besser als das Leben unter freiem Himmel in Edinburghs Winter und sie nahmen die leeren Gewölbe schnell in Beschlag.
Die Keller
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