03 Arthur und die Stadt ohne Namen
hörte Larissas Stimme aus der Ferne noch etwas rufen.
Dann war ich weg.
Verdammte Seelen
Ich glitt in einem Boot ohne Mast und Motor über den Ozean. Weit und breit war kein Land zu sehen, und der Himmel war so klar und blau, dass er mit dem Meeresspiegel zu einer einzigen Fläche verschmolz.
Ich wusste nicht, woher ich kam und wohin ich fuhr. Auch die Tatsache, dass sich das Boot ohne Antrieb fortbewegte, gab mir nicht zu denken. Ich hockte auf dem Boden des Bootes, ließ mir den Wind um die Nase wehen und fühlte mich einfach – leer.
Vage erinnerte ich mich an meine Vergangenheit. Ich hatte irgendwas mit Büchern zu tun gehabt. Und dann war da auch noch ein Mädchen. An ihren Namen konnte ich mich nicht mehr entsinnen. Warum auch? Ich befand mich auf einem Weg, auf dem sie mir nicht folgen konnte.
Ich hatte keine Pläne und keine Erinnerungen. Die Sonne wärmte mir die Haut, und ich ließ einen Arm über die Bordwand ins Wasser gleiten, das ebenfalls angenehm warm war. Selbst mein Name war mir entfallen. Aber wer brauchte schon einen Namen, allein auf dem Meer? Hier war niemand, der mich danach fragen konnte, und ich hatte sowieso keine Lust zu reden.
Mit einem Mal erspähte ich eine Wolke am Horizont. Was mochte das bedeuten? Der Wind frischte auf und wurde kühler. Ich bekam eine Gänsehaut. Die einzelne Wolke verwandelte sich rasend schnell in eine ganze Wolkenwand, die sich wie im Zeitraffer näher schob.
Das Meer, das eben noch so ruhig gewesen war wie eine schlafende Schildkröte, färbte sich dunkel. Zunächst waren es nur kleine Wellen, die mein Boot zum Schaukeln brachten, doch sie wurden von Sekunde zu Sekunde stärker. Ich hielt mich an den Bordwänden fest, um nicht aus dem Boot geschleudert zu werden.
Vor mir erhob sich eine gewaltige Welle, die sich höher und höher auftürmte. Ich schloss die Augen. Das Meer schleuderte mich immer kräftiger hin und her, und ich spürte, wie sich meine Hände vom Holz lösten. Nur noch wenige Sekunden, dann würde ich über Bord gespült werden.
Aus der Ferne drang eine Stimme an mein Ohr. »Arthur!«, rief sie. Sie kam mir merkwürdig vertraut vor, und doch wusste ich nicht, wem sie gehörte.
»Arthur!«, klang es erneut. Das Rütteln nahm zu, aber diesmal spürte ich, dass es Hände auf meinen Schultern waren, die mich hin und her schüttelten. Ich schlug die Augen auf.
Vor mir stand Larissa. Wenige Schritte hinter ihr starrte mich der Langhaarige mit weit aufgerissenen Augen an.
»Arthur«, sagte Larissa erleichtert und nahm ihre Hände von meinen Schultern. Ich drehte den Kopf hin und her, um die Benommenheit zu vertreiben.
»Was ist passiert?«, krächzte ich.
»Du warst völlig weggetreten«, erklärte Larissa. »Erst hielt ich es für einen Schwächeanfall, aber dann fiel mir ein ...« Sie deutete neben mich auf die Bank.
Ich folgte ihrem Finger mit meinem Blick. Da lag das grüne Buch, das ich vorhin im College unter meinen Pullover geschoben hatte.
»Du meinst ...?«
Sie nickte. »Eindeutig. Kaum hatte ich dir das Buch vom Körper genommen, hast du gleich kräftiger geatmet. Dann musste ich dich nur noch ein wenig malträtieren, bis du zurückgekommen bist.«
»Das Buch der Leere«, murmelte ich. »Genau das war es, was ich gespürt habe. Leere. Eine so abgrundtiefe Leere, wie ich sie noch nie im Leben empfunden habe und auch nie wieder empfinden möchte.«
Vorsichtig richtete ich mich auf. Ich war zwar noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber es ging schon besser als vor meinem Abtauchen.
»Everything’s okay« , beruhigte Larissa den jungen Mann, der immer noch wortlos dastand. »Thanks for your help. We’ll go now.«
Mit spitzen Fingern nahm sie das Buch von der Bank und ließ es in ihre Umhängetasche gleiten. »Ich hoffe, es hat diese Wirkung nur, wenn man es direkt am Körper trägt oder berührt«, sagte sie.
Sie hakte mich unter und wir kehrten zum Tor zurück. Der Langhaarige schloss die Pforte auf. »Take care« , sagte er, als wir auf den Bürgersteig traten.
Langsam gingen wir den Eisenzaun entlang. Mit jedem Schritt nahmen meine Kräfte zu.
»Merkst du etwas?«, fragte ich Larissa.
Sie schüttelte den Kopf. »Es scheint wirklich so zu sein, als wirke das Buch nur, wenn man es berührt.«
»Es kann auch nur ein Schwächeanfall gewesen sein, und das Buch hat nichts damit zu tun«, antwortete ich.
»Willst du es noch mal ausprobieren?« Sie streckte mir ihre Tasche hin.
»Nein, danke. Wir sollten es uns
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