03 Arthur und die Stadt ohne Namen
eine dicke Backe hatten, und ich fragte Zakiya danach. »Das ist Kath«, sagte sie. »Es ist die nationale Droge des Jemen, so ähnlich wie Zigaretten oder Kaffee im Westen.«
Sie bog in eine schmale Gasse ein, in der noch mehr Gedränge herrschte. In einer Art Tunnel, der zwischen zwei Gebäuden hindurchführte, saßen Verkäufer hinter Decken, auf denen Berge von Zweigen mit grünen Blättern lagen.
»Das sind die Spitzen des Kathstrauchs«, erklärte Zakiya. »Sie werden einzeln abgezupft und zerkaut. Die so entstandene Masse wird mit der Zunge zu kleinen Bällchen geformt, die man den ganzen Tag über in der Backentasche sammelt. Erfahrene Kathkauer trinken viel Wasser und Süßgetränke, mit denen sie das Kath immer wieder befeuchten, damit sie den Wirkstoff daraus aussaugen können.«
»Und was ist daran so Besonderes?«, wollte Larissa wissen.
»Kath enthält Cathin, das mit dem Koffein im Kaffee vergleichbar ist. Es wird über die Mundschleimhaut aufgenommen und wirkt wie ein leichtes Aufputschmittel. Es erzeugt einen Zustand allgemeinen Wohlgefühls. Man hat das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen. Deshalb wird Kath auch gerne in Gesellschaft gekaut, um anschließend ausgiebige Gespräche über Gott und die Welt zu führen.«
»Klingt nicht übel«, sagte ich.
»Willst du mal probieren?« Zakiya blieb stehen, zupfte ein Blatt von einem Strauch und hielt es mir hin. Ich schob es vorsichtig in den Mund und kaute zaghaft darauf herum. Es schmeckte süß und bitter zugleich.
Der Händler beobachtete mich lächelnd. »Kuwajjis? «, fragte er.
»Er möchte wissen, ob es gut ist«, übersetzte Zakiya.
Ich bejahte. Der Verkäufer lachte und stieß seinen Nebenmann an, der ebenfalls zustimmend nickte. »Ma« , sagte er und hielt eine kleine Plastikflasche hoch.
»Er sagt, du musst Wasser dazu trinken.«
»Schukran« , bedankte ich mich und wässerte die Masse in meinem Mund.
Zakiya gab den Männern ein paar Rial und wir gingen weiter.
»Na, spürst du schon was?«, fragte Larissa.
»Meine Backe fühlt sich ein wenig komisch an«, antwortete ich. »Sonst merke ich nichts.«
»Kein verstärktes Mitteilungsbedürfnis?«, grinste sie.
»Bisher nicht«, grinste ich zurück. Ich schob das Kath-Bällchen tiefer in meine Backe. »Aber vielleicht ist ein Blatt auch zu wenig.«
»Höre ich da schon die Sucht aus dir sprechen?«, spottete Larissa.
»Man wird von Kath nicht körperlich süchtig«, erklärte Zakiya. »Aber eine psychische Abhängigkeit kann es schon geben. Deshalb ist Cathin auch in den meisten europäischen Ländern verboten. Aber Arthur hat recht. Ein Blatt allein hat kaum eine Wirkung. Das ist eher wie eine Tasse starker Kaffee.«
Wie sich Zakiya im Gewimmel der zahllosen Gassen zurechtfand, war mir ein Rätsel. Ohne große Umwege brachte sie uns an unser Ziel: das Reisebüro von Abdul Hakim.
Es hatte nichts gemein mit den Reisebüros, wie wir sie von daheim kannten. Ein kleiner Schreibtisch mit einem Notebook darauf, ein Rollschrank und zwei Stühle für Besucher – das war die gesamte Einrichtung des kleinen Raums, der, ebenso wie die Läden in den Suqs, durch zwei große Holztüren geschützt wurde. Die Wände waren von oben bis unten mit Plakaten von Fluggesellschaften und fernen Reisezielen zugepflastert.
Larissa und Zakiya setzten sich; ich blieb hinter den beiden stehen.
Abdul Hakim, der Reiseorganisator, war gekleidet wie ein westeuropäischer Geschäftsmann: weißes Hemd, blaue Krawatte, grauer Anzug und schwarze Schuhe. »Ich mache viel Geschäfte mit Ausländern, da ist es vorteilhaft, wie sie auszusehen«, erklärte er fast entschuldigend.
Ein barfüßiger Junge, der vielleicht zehn Jahre alt sein mochte, erschien neben uns und blickte Abdul Hakim fragend an. Der nickte wortlos und hielt vier Finger hoch. Der Junge verschwand und kehrte wenige Minuten später mit einem Silbertablett zurück, auf dem vier Gläser mit Tee standen. Er deponierte die Getränke auf dem Schreibtisch und ließ uns wieder allein.
Larissa schilderte dem Mann unser Anliegen. »Das ist lange her«, brummte er und tippte auf seinem Notebook herum. »Und Hayyid oder Mayyid heißen hier so viele. Können Sie mir den Nachnamen Ihrer Eltern bitte noch mal buchstabieren?«
Er vertiefte sich in den Bildschirminhalt. Wir schlürften unseren Tee. Ich lehnte mich gegen die Wand, nicht, weil ich müde war, sondern weil ich den Augenblick genoss. Ich fühlte mich entspannt und zufrieden, ganz im Gegensatz zu
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