03 - Auf Ehre und Gewissen
einverstanden, ihn in den Ferien aufzunehmen, aber mehr nicht. Er mußte auf der Schule bleiben. Dort sehe ich ihn ab und zu, sonst nirgends.«
Hinter Byrnes Worten stand schlecht verhohlene Bitterkeit, die Lynley zu der Frage veranlaßte, wieviel Zeit er mit Matthew Whateley verbracht hatte und ob Brian über sein Interesse an dem Jungen Bescheid gewußt habe.
Byrnes rasche Antwort verriet, daß er sofort begriff, worauf Lynley hinaus wollte. »Sie wollen doch nicht im Ernst unterstellen, daß Brian Matthew tötete, weil er eifersüchtig war?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort: »Ich sah Matthew nur selten - auf dem alten Anger oder am Fluß, wenn er dort spielte. Seine Eltern hielten mich über die Fortschritte des Jungen in der Schule auf dem laufenden, und ich sprach im Rahmen des normalen Bewerbungsverfahrens mit ihm, nachdem ich ihn für das Stipendium in Bredgar Chambers vorgeschlagen hatte. Weiter ging meine Beziehung zu ihm nicht. Was ich für ihn tat, tat ich aus Liebe zu Edward. Das war eine ganz andere Beziehung als die zu Matthew. Er war mir ein Sohn. Er war mir mehr Sohn als der Sohn, den ich jetzt habe. Aber er ist tot, und ich habe ihn nicht einfach durch Matthew ersetzt. Was ich für Matthew tat, tat ich, wie ich schon sagte, für Edward.«
»Und was tun Sie für Brian?«
Byrnes Lippen wurden schmal. »Für ihn habe ich getan, was ich konnte. Was er selbst zuläßt.«
»Indem Sie zum Beispiel dafür sorgten, daß er Hausältester wurde?«
»Richtig. Ich glaubte, die Erfahrung würde ihm guttun. Ich habe meinen ganzen Einfluß spielen lassen. Er braucht so etwas in seinem Zeugnis, wenn er wirklich auf die Universität möchte.«
»Er hofft auf Cambridge. Wußten Sie das?«
Byrne schüttelte den Kopf. »Wir sprechen nicht miteinander. Es liegt auf der Hand, daß er mich nicht gerade für den verständnisvollsten aller Väter hält.«
»Inwieweit hatten Sie bei der Berufung Alan Lockwoods zum Schulleiter von Bredgar Chambers die Hand im Spiel?« fragte Lynley neugierig.
»Ich drängte den Verwaltungsrat, ihm den Posten anzubieten«, bekannte Byrne. »Wir brauchten dringend frisches Blut.«
»Dank seiner Anwesenheit haben Sie, vermute ich, jetzt im Verwaltungsrat weit mehr Einfluß als zuvor; mehr Macht, als Sie normalerweise haben würden.«
»Das liegt in der Natur jedes politischen Systems, Inspector. Es geht immer um die Macht.«
»Und Sie lieben die Macht?«
Byrne zog seine Zigaretten heraus und zündete sich wieder eine an. »Machen Sie sich nichts vor, Inspector. Macht liebt jeder.«
Als Kevin Whateley unter der Hammersmith Bridge hindurch zur Lower Mall ging, begann es zu schütten. Es hatte den ganzen Tag schon nach Regen ausgesehen, und die Luft war schwül gewesen. Aber die ersten dicken Tropfen, die normalerweise einem nahenden Gewitter vorausgehen, waren erst gefallen, als Kevin um halb sechs aus dem Untergrundbahnhof kam und zum Fluß hinunterging. Selbst da schien es noch, als würde sich das Wetter halten. Aber als er in die Queen Caroline Street kam, tobte der Sturm los, dicke schwarze Wolken schoben sich zusammen, und kurz darauf fing es an zu gießen.
Kevin trat aus dem Schutz der Brücke und hielt das Gesicht in den strömenden Regen. Vom kalten Nordostwind getrieben stachen ihn die Tropfen wie eisige Nadeln ins Gesicht. Sie brannten ihm auf der Haut, aber der Schmerz tat gut.
Unter dem Arm trug er einen Brocken rosafarbenen Marmor mit feiner cremefarbener Maserung. Er hatte ihn gestern morgen an einem großen Granitblock lehnen sehen, für ein Grabmal bestimmt, das in der kleinen Kirche von Hever Castle errichtet werden sollte. Den ganzen Tag hatte er den Marmor im Auge behalten, sich überlegt, wann und wie er ihn am besten stehlen könnte, ohne daß jemand etwas merkte. Er hatte oft schon Steine, die nicht mehr gebraucht wurden, von seinem Arbeitsplatz mitgenommen. Die meisten seiner Skulpturen waren aus diesen Abfallsteinen geschaffen, die durch ungeschickten Gebrauch des Bohrers oder Meißels ruiniert und nicht mehr verwendbar waren. Heute jedoch hatte er zum erstenmal einen Stein in makellosem Zustand mitgenommen. Hätte man ihn dabei ertappt, hätte es ihn seine Stellung kosten können. Die Gefahr bestand immer noch, wenn sich bei einer Durchsuchung des Hofs und des staubigen Lagerraums herausstellte, daß der Marmor verschwunden war. Aber Kevin war es gleichgültig, ob man ihn an die Luft setzen würde. Er hatte all die Jahre nur für Mattie
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