Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Wieder hustete er.
    »Es war eine besonders unerquickliche Situation, Inspector. Matthews Mutter war nicht ein blutjunges unschuldiges Ding, in das Edward sich verliebt hatte. Der Junge widmete sich seinen schulischen Aufgaben mit so zielstrebiger Hingabe, daß ihm eine Liebelei mit einer Sechs- oder Siebzehnjährigen gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Nein, die Mutter war eine ältere Frau, die den Jungen verführte. Aus Spaß an der Eroberung oder um sich selbst zu beweisen, daß sie noch begehrenswert war, vielleicht auch, weil es ihr schmeichelte, einen weit jüngeren Mann faszinieren zu können. Suchen Sie sich aus, was Sie wollen. Ich kann nur vermuten, daß dies ihre Beweggründe waren.«
    »Sie kannten die Frau nicht?«
    »Ich weiß nur das, was ich mit einiger Mühe aus Edward herausbringen konnte.«
    »Und was war das?«
    Byrne trank von seinem Whisky. Rhena saß reglos neben ihm, den Blick gesenkt.
    »Herzlich wenig. Sie lud ihn mehrmals zum Tee ein. Sie gab vor, an seinem Wohlbefinden interessiert zu sein. So fing es an. Und es endete im Schlafzimmer. Ich kann mir vorstellen, daß es der Frau eine egoistische Befriedigung verschaffte, diesen unschuldigen Jungen in das sogenannte Ritual der Liebe einzuweihen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß sie damit gerechnet hatte, von ihm schwanger zu werden. Doch als das geschah, nutzte sie es dazu aus, von Eddi Geld zu verlangen. Er sollte es sich von seiner Familie geben lassen. Nötigung. Erpressung. Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
    »Hat er sich deshalb das Leben genommen?«
    »Er hat sich das Leben genommen, weil er glaubte, man würde ihn der Schule verweisen, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Die Vorschriften für solche Fälle sind ziemlich eindeutig. Aber ganz abgesehen davon glaubte Eddie, den Ruf seiner Familie in den Schmutz gezogen zu haben. Sie hatten ihn unter hohem Kostenaufwand nach England geschickt, um ihm eine gute Ausbildung zu bieten. Sie hatten Opfer für ihn gebracht, und er hatte es ihnen mit ehrlosem Verhalten vergolten.«
    »Woher wissen Sie das alles, Mr. Byrne?«
    »Ich habe Eddie Unterricht in Englisch gegeben, seit er in der vierten Klasse war. Er war beinahe jede Ferien hier in meinem Haus. Ich kannte ihn. Ich hatte ihn sehr gern. Gegen Ende seines letzten Schuljahrs merkte ich, wie deprimiert er war, und ließ nicht locker, bis ich alles von ihm erfahren hatte.«
    »Aber wer die Frau war, hat er Ihnen nicht gesagt?«
    Byrne schüttelte den Kopf. »Das hätte er für ehrlos gehalten.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, daß er nicht erkannte - oder darauf aufmerksam gemacht wurde -, um wieviel ehrloser ein Selbstmord sein würde«, bemerkte Lynley.
    »insbesondere in einer Situation, an der er nicht allein schuld war.«
    Die Beschuldigung, die hinter Lynleys Worten stand, schien Byrne unberührt zu lassen. »Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ihnen auf eine Diskussion über chinesische Kultur und Lebensauffassungen einzulassen, Inspector. Ich will mich damit begnügen, Ihnen die Fakten zu nennen. Diese Frau« - er verlieh dem Wort bitteren Nachdruck - »hätte abtreiben können, ohne daß Eddie je etwas davon hätte erfahren müssen. Aber sie wollte Geld von ihm, darum sagte sie dem Jungen, wenn er seiner Familie nicht die Wahrheit sagen wolle, würde sie es an seiner Stelle tun. Oder aber mit dem Schulleiter sprechen, um Eddie zu zwingen, ›seine Pflicht als Ehrenmann‹ zu tun. Für Eddie hätte das tiefste Schmach und Schande bedeutet.«
    »Aber man hätte doch wohl in Bredgar Chambers mildernde Umstände gelten lassen«, meinte Lynley.
    »Sicher. Das erklärte ich ihm auch. Ich wies ihn darauf hin, daß er nicht allein die Schuld trüge, daß er die Frau schließlich nicht vergewaltigt hatte, sondern von ihr verführt worden war; daß der Schulleiter dies alles berücksichtigen würde. Aber Eddie konnte - und wollte - nur das sehen, was er sich selbst, seiner Familie und der Schule angetan hatte. Er konnte nicht mehr lernen. Ganz gleich, was ich ihm sagte, es machte nicht den geringsten Eindruck. Ich glaube, er hatte schon in dem Moment beschlossen, sich das Leben zu nehmen, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Er wartete nur auf die Gelegenheit.«
    »Er hinterließ keinen Abschiedsbrief?«
    »Nein.«
    »Dann wissen also nur Sie die Wahrheit?«
    »Ich weiß das, was er mir anvertraut hat. Ich habe die Geschichte nicht weitergegeben.«
    »Nicht einmal an die Eltern des Jungen? Sie haben ihnen nicht mitgeteilt,

Weitere Kostenlose Bücher