03 - Auf Ehre und Gewissen
auf! Laß ihn!«
Dann wieder die erste Stimme, leiser als die zweite.
»Ach was, du magst auch mitspielen? Na, dann komm her. Schauen wir's uns mal an.«
Eine dritte Stimme, brüchig, die Stimme eines Kindes, das den Tränen nahe war. »Bitte! Nein!«
Dann Gelächter. »Tu doch nicht so, Bubi. Gib's zu, daß du auch mitspielen willst. Gib's zu.«
Das Geräusch eines Schlags. Wieder ein unterdrückter Schrei.
Lynley beugte sich vor und schaltete das Gerät aus.
»Es geht noch weiter«, sagte Yvonnen hastig. »Und es wird immer schlimmer. Wollen Sie's nicht hören?«
»Wie bist du dazu gekommen?« fragte Lynley statt einer Antwort.
Yvonnen nahm die Kassette aus dem Gerät und legte sie auf den Schreibtisch. »Es wird immer schlimmer«, sagte sie wieder. »Als ich mir's zuerst anhörte, hab ich's nicht verstanden. Ich dachte - diese Jungs, verstehen Sie, die sind doch auf so einem feinen Internat, und so was gibt's doch da nicht ...« Sie konnte nicht weiter. So erwachsen sie in Aussehen und Verhalten war, sie war eben doch erst dreizehn Jahre alt.
Lynley wartete, bis sie sich wieder gefaßt hatte.
»Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, Yvonnen«, sagte er. »Niemand kann von dir erwarten, daß du verstehst, was das zu bedeuten hat. Sag mir nur alles, was du weißt, wie es kam, daß Matthew dir das Band gegeben hat.«
Sie hob den Kopf. »In den Weihnachtsferien kam Matt mal zu mir. Er wollte, daß ich ihm zeige, wie man in einem Zimmer eine Abhöranlage anbringt.«
»Das ist aber eine merkwürdige Bitte.«
»Nein, nein, war's nicht. Ich interessiere mich schon lange für so was. Und Matt wußte es. Ich probier aus, was man alles mit Abhöranlagen machen kann. Seit zwei Jahren.«
»Mit Abhöranlagen?«
»Ja. Nur so zum Spaß. Angefangen hab ich mit einem einfachen Tonbandgerät. In einer Suppenterrine im Eßzimmer. Aber jetzt arbeite ich mit Richtungsmikrofonen. Mich interessiert Tonarbeit. Ich will so was mal beim Film oder beim Fernsehen machen. Wie der in Blow out. Haben Sie den Film gesehen?«
»Nein.«
»Der war Tonmeister beim Film. Und da hab ich angefangen, mich dafür zu interessieren. Es war John Travolta«, fügte sie naiv hinzu. »Jetzt bin ich schon ganz gut. Am Anfang hatte ich null Ahnung. Der Ton aus der Suppenterrine im Eßzimmer klang total hohl und klirrte. Da war mir klar, daß ich nicht einfach ein Tonbandgerät irgendwo verstecken kann. Ich brauchte was Besseres. Und Kleineres.«
»Eine kleine Wanze.«
»Kurz vor Weihnachten hab ich bei meiner Mutter im Schlafzimmer eine eingebaut, weil ich dachte, sie würde ihrem Freund erzählen, was ich für Geschenke kriege. Aber das Band war stinklangweilig. Nur ein Haufen Gestöhne und Geseufze, als sie miteinander geschlafen haben. Und er sagte dauernd: ›Oh, Baby.‹ Ich hab's Matt zum Jux vorgespielt. Und noch ein Band, auf dem sich zwei Lehrer von der Schule unterhalten haben. Das hatte ich mit einem Richtungsmikrofon aufgenommen. Aus fünfzig Meter Entfernung. Das war gut.«
»Und dadurch ist Matthew auf die Idee gekommen, ein Zimmer in der Schule mit einem Abhörgerät auszustatten?«
Sie nickte. »Er sagte nur, er wolle in einem Raum ein Abhörgerät einbauen, und wollte wissen, wie man das am besten macht. Wissen Sie, er hatte ja keine Erfahrung, aber er war ganz fest entschlossen. Ich dachte, es sollte ein Witz sein, drum sagte ich, am besten wäre es, wenn er ein hochempfindliches Tonbandgerät nimmt. Ich hab ihm dann mein altes hier geliehen. Er schickte es mir mit dem Band zusammen zurück.«
»Hat er dir gesagt, in wessen Zimmer er das Abhörgerät anbringen wollte?«
»Nein. Er wollte nur wissen, wie man's macht. Ich hab ihm gesagt, er soll das Mikro an einem Ort verstecken, wo die Aufnahme nicht durch andere Geräusche verzerrt wird, wo er aber trotzdem sicher sein konnte, daß es die Geräusche aufnehmen würde, die ihn interessierten. Ich hab ihm geraten, sich das Zimmer vorher genau anzusehen und mindestens zwei Probeaufnahmen zu machen, damit er dann auch wirklich erstklassige Aufnahmen bekommt. Er hat mir noch ein paar Fragen gestellt, dann hat er den Rekorder mitgenommen. Aber er hat danach nie wieder was von der Sache gesagt. Und vor drei Wochen kam dann das Band bei mir an.«
»Hat er viel von der Schule gesprochen, Yvonnen? Von den Freunden, die er dort hatte? Wie es ihm gefiel?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Er sagte nur, es wäre ganz in Ordnung. Sonst nichts. Aber ...« Sie runzelte die Stirn
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