03 - Auf Ehre und Gewissen
rückgängig zu machen. Große Löcher klafften in den Seiten des Albums, wo die Fotos von Machupicchu sich nicht ohne Widerstand hatten herausreißen lassen.
»Er schläft«, antwortete Barbara. »Mama, du mußt besser auf ihn aufpassen. Kannst du dir das nicht merken? Er hätte beinahe die Decke in Brand gesteckt. Sie hat schon geraucht. Hast du es denn nicht gerochen?«
Das Gesicht ihrer Mutter zeigte Verwirrung. »Dad raucht doch gar nicht mehr, Kind. Das weißt du. Er kann nicht mit dem Sauerstoff. Der Doktor hat gesagt -«
»Nein, Mama. Die Decke hat geraucht. Sie hätte beinahe Feuer gefangen, weil sie auf dem elektrischen Heizofen lag. Siehst du?« Sie wies auf die versengten Stellen, wo die Wolle schwarz geworden war.
»Aber sie liegt doch auf dem Boden. Wie kann sie da -«
»Ich habe sie auf den Boden gelegt, Mama. Sie hat schon gebrannt. Das ganze Haus hätte abbrennen können.«
»Ach, ich kann mir nicht denken -«
»Genau! Du kannst nicht denken!« Die Worte waren heraus, ehe sie sie zurückhalten konnte. Das Gesicht ihrer Mutter verzog sich weinerlich. Barbara machte sich sofort Vorwürfe. Es ist nicht ihre Schuld. Es ist doch nicht ihre Schuld! Sie suchte nach Worten. »Mama, es tut mir leid. Es ist dieser Fall, an dem ich arbeite - er macht mir so zu schaffen. Ich weiß auch nicht. Willst du uns nicht eine Tasse Tee machen?«
Doris Havers' Gesicht hellte sich auf. »Hast du schon gegessen? Ich hab heute ans Abendessen gedacht. Ich hab ein Stück Fleisch für uns ins Rohr geschoben. Punkt halb sechs, genau wie früher. Es müßte jetzt eigentlich gut sein.«
Es konnte, da es inzwischen halb neun war, nur entweder völlig verkohlt oder überhaupt nicht gebraten sein. Wenn Doris Havers einen Braten ins Rohr gestellt hatte, hieß das nicht automatisch, daß sie auch das Gas eingeschaltet hatte. Dennoch zwang sich Barbara zu einem Lächeln. »Na wunderbar. Das ist wirklich schön.«
»Ich kann schon für Dad sorgen, keine Angst.« »Ja, ich weiß, daß du es kannst. Setzt du jetzt Wasser auf? Dann kannst du auch gleich mal nach dem Braten sehen.«
Sie wartete, bis ihre Mutter in die Küche gegangen war, ehe sie sich über ihren Vater beugte und seine Schulter berührte. Sie schüttelte ihn sachte und rief ihn leise beim Namen.
Sofort öffneten sich die Lider. Er hob den Kopf und schloß den Mund.
»Barbie.« Er hob eine Hand, um sie zu begrüßen. Aber er brachte sie nur wenige Zentimeter in die Höhe, ehe sie wieder herunterfiel. Von neuem sank ihm der Kopf auf die Brust.
»Dad, hast du was gegessen?«
»Ich hab 'ne Tasse Tee getrunken. Schöne Tasse Tee. Mama hat ihn mir gemacht. Sie sorgt gut für mich, deine Mama.«
»Ich mach dir jetzt gleich was«, sagte sie. »Möchtest du ein Brot? Oder wäre dir Suppe lieber.«
»Ist egal. Ich hab keinen großen Appetit, Barbie. Fühl mich ein bißchen angeschlagen.«
»Ach Gott, dein Arzttermin. Ich ruf gleich morgen früh an. Und am Nachmittag fahr ich dich hin. Reicht das?« Sie lächelte, aber es war kein echtes Lächeln, vielmehr Ausdruck ihres Schuldgefühls. »Paßt dir das, Dad?«
Er erwiderte ihr Lächeln schläfrig. »Hab schon selbst angerufen, Barbie. Heute nachmittag. Ich hab für Freitag einen Termin. Halb vier. In Ordnung?«
Barbara war ein wenig erleichtert, als sie das hörte. Der morgige Nachmittag hätte ihr schlecht gepaßt, der Freitag andererseits schien Jahre entfernt. Bis dahin würden sie den Mord an Matthew Whateley vielleicht aufgeklärt haben. Dann hatte sie mehr Zeit. Bis dahin würde ihr vielleicht auch eine Lösung für ihre Mutter einfallen.
»Kind?«
Barbara sah auf. Doris Havers stand an der Tür, in der Hand die Bratreine. Das Fleisch darin war noch in dem Papier, in das der Metzger es eingewickelt hatte. Der Herd war nie eingeschaltet gewesen.
Vielleicht um sich zu quälen oder zu bestrafen - sie wußte selbst nicht genau, warum sie es tat, und war in diesem Moment nicht fähig, ihre Motive zu hinterfragen -, ging Deborah St. James den ganzen Weg von der Haltestelle Sloane Square durch die King's Road zur Cheyne Row zu Fuß. Der Regen peitschte in dem starken Wind. Sie konnte kaum ihren Schirm festhalten. Dabei fror sie erbärmlich, ihre Schuhe waren durchnäßt, ihre Füße klatschnaß und eiskalt.
Sie brauchte fast eine Stunde für einen Weg, den sie sonst in fünfundzwanzig Minuten zurücklegte, und als sie endlich in die Cheyne Row einbog, zitterte sie am ganzen Körper vor Kälte. An der Haustür
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