03 - Auf Ehre und Gewissen
Eine wahre Pracht. Aber innen sieht's fast überall so verwahrlost aus wie im Haus Erebos. Bis auf die neueren Gebäude - Theater, Werkstatt und Mädchenwohnhäuser -, die auf der Südseite stehen, ist hier alles museumsreif, Inspector. Auch die Unterrichtsräume. Bei den Naturwissenschaften sieht's aus, als hätte sich seit Darwins Zeiten kaum was geändert.« Sie holte mit ihrem Arm weit aus. »Wieso schickt die High-Society ihre Kinder hierher? Da war's ja auf meiner Gesamtschule besser. Die war wenigstens zeitgemäß.«
»Der Nimbus, Havers.«
»Die alte Schulgemeinschaft?«
»Auch das. Wie der Vater, so der Sohn.«
»Wenn ich gelitten habe, sollst du auch leiden?«
Er lächelte trübe. »So etwa, ja.«
»Waren Sie gern in Eton, Sir?« fragte sie ihn mit einem scharfen Blick.
Die Frage traf direkt in die Wunde. Es war nicht Eton gewesen; nicht Eton mit seinen schönen Bauten und seinen reichen Traditionen. Der Ort selbst besaß nicht die Macht zu verwunden. Es war die Zeit gewesen, die falsche Zeit in seinem Leben, von zu Hause fortgeschickt zu werden. Es war nicht die richtige Zeit gewesen, von einer Familie getrennt zu werden, die eine schwere Krise durchmachte, von einem Vater, den die Krankheit verzehrte.
»So gern wie jeder andere, denke ich«, antwortete er.
»Was haben Sie außer Ihren Feststellungen über den Zustand der Schule noch zu bieten?«
Havers schien noch etwas über Eton sagen zu wollen, aber dann bemerkte sie nur: »Sie haben hier einen sogenannten Oberstufenclub. Nur die Schüler der Abschlußklasse gehören dazu. Der Clubraum ist in einem Nebengebäude des Hauses Ion, wo Chas Quilter wohnt. Am Wochenende treffen sich die Schüler dort zum Trinken.«
»Welche Schüler?«
»Na, eben die der Abschlußklasse. Aber anscheinend muß man erst ein Aufnahmeritual über sich ergehen lassen, wenn man dazugehören will. Chas sagte nämlich, manche Schüler verzichteten auf die Mitgliedschaft. Sie wollten die Formalitäten, die zur Aufnahme gehören, nicht auf sich nehmen.«
»Er selbst gehört dem Club an?«
»Na, das wird man doch sicher von ihm erwarten, da er der Schulpräfekt ist. Gehört schließlich zu seinen Aufgaben, die Traditionen der Schule hochzuhalten.«
»Und das Aufnahmeritual ist so eine Tradition?«
»Anscheinend. Ich fragte ihn, wie man Mitglied wird, und da wurde er rot und sagte, man müsse ›allen möglichen Quatsch‹ im Beisein der anderen über sich ergehen lassen. Jedenfalls scheinen die Knaben ganz schön zu bechern. Eigentlich bekommen die Schüler in der Woche nur zwei Bons für alkoholische Getränke, aber da die Ausgabe der Bons auch von Schülern gehandhabt wird, wird das wohl nicht so eng gesehen.
Es hört sich jedenfalls ganz so an, als ginge es auf den Gelagen am Freitagabend ziemlich munter zu.«
»Und Chas greift da nicht ein?«
»Ehrlich gesagt, ich versteh das auch nicht. Es wäre doch seine Aufgabe, nicht wahr? Warum das Amt des Schulpräfekten übernehmen, wenn man's dann nicht ausfüllt?«
»Die Antwort darauf ist leicht, Havers. So ein Amt nimmt sich im Schülerbogen immer gut aus. Die Universitäten fragen sicher nicht danach, wie nun einer sein Amt ausgefüllt hat. Sie sehen, daß er eines hatte, und machen sich danach ihr Bild von ihm.«
»Aber wie ist er überhaupt Schulpräfekt geworden? Wenn ihm die nötigen Führungseigenschaften fehlen, hätte das der Schulleiter doch wissen müssen.«
»Es ist weit einfacher, Führungseigenschaften zu zeigen, wenn man noch nicht Schulpräfekt ist, als hinterher, wenn man das Amt auf dem Buckel hat. Da ist man nämlich unter ständigem Druck. Und viele Menschen verändern sich unter Druck. Vielleicht war es auch bei Chas so.«
»Oder vielleicht fand unser Herr Direktor den lieben Chas einfach zu hübsch, um ihn einfach in der Versenkung verschwinden zu lassen«, meinte Havers auf ihre gewohnt beißende Art. »Ich könnte mir vorstellen, daß die beiden viel im stillen Kämmerlein beisammen sind.«
Lynley warf ihr einen Blick zu. »Ich bin nicht blind, Inspector«, verteidigte sie sich. »Chas ist ein ausgesprochen hübscher Junge. Lockwood wär nicht der erste, der dem Reiz eines schönen Gesichts erliegt.«
»In der Tat. Was haben Sie sonst noch aufgespürt?«
»Ich hab mich mit Judith Laughland unterhalten, der Schwester von der Krankenstation.«
»Ah ja. Erzählen Sie.«
Sie arbeitete lange genug mit ihm zusammen, um seine Vorliebe für Details zu kennen, darum beschrieb sie ihm die Frau
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