03 - Auf Ehre und Gewissen
Seitenfenster der Kälte geöffnet waren, bot genug Raum für einen Konferenztisch aus indischem Satinholz und sechs samtbezogene Stühle. Das Silber des Rokokoleuchters, der darauf stand, spiegelte sich schimmernd im glänzenden Holz. Direkt gegenüber war ein mit blauweißen Delfter Kacheln gefaßter offener Kamin, in dem ein echtes Holzfeuer brannte und nicht das erwartete künstliche Elektrofeuer. Darüber hing ein Gemälde, das von der Hand Holbeins hätte sein können und einen unbekannten Renaissance-Jüngling zeigte, und nicht weit davon ein wenig schmeichelhaftes Porträt Heinrichs VII.
Bücherschränke mit hohen Glastüren nahmen zwei Wände des Raums ein, und an der dritten hingen gerahmte Fotografien, die von der jüngsten Geschichte des Internats Zeugnis ablegten.
Als Lynley und Barbara Havers das Zimmer betraten, stand Alan Lockwood an seinem Schreibtisch auf und kam ihnen auf dem dicken blau-goldenen Wiltonteppich entgegen, um sie zu begrüßen. Er hatte seine Robe abgelegt. Sie hing jetzt an einem Haken an der Tür. Ohne sie wirkte er merkwürdig unangezogen.
»Ich hoffe, Sie haben alle Hilfe bekommen, die Sie brauchen«, sagte er und führte sie zu dem Konferenztisch, wo er sich mit dem Rücken zum Fenster setzte, so daß sein Gesicht im Schatten war. Die Kälte in diesem Teil des Zimmers schien er gar nicht wahrzunehmen; er machte jedenfalls keine Anstalten, die Fenster zu schließen.
»Absolut«, bestätigte Lynley. »Insbesondere von Ihrem Schulpräfekten. Ich muß Ihnen danken, daß Sie ihn uns ausgeliehen haben.«
Lockwood lächelte mit echter Wärme. »Ja, ein großartiger Junge, nicht wahr? Etwas ganz Besonderes. Bei allen ausnahmslos beliebt.«
»Und geachtet?«
»Nicht nur von den Schülern, sondern auch von den Lehrern. So leicht ist mir die Wahl eines Schulpräfekten noch nie geworden. Chas wurde am Ende des vergangenen Schuljahrs von jedem seiner Lehrer nominiert.«
»Er scheint ein netter Junge zu sein.«
»Ein bißchen zu ehrgeizig vielleicht, aber nach dem, was sein älterer Bruder sich hier geleistet hat, möchte Chas wahrscheinlich unbedingt den guten Ruf der Familie wiederherstellen. Es sähe ihm ähnlich, für alles, was Preston getan hat, Wiedergutmachung leisten zu wollen.«
»Das ist wohl das schwarze Schaf der Familie?«
Lockwood hob die Hand zum Hals, ließ sie aber wieder sinken, noch ehe ihn seine Hand berührt hatte. »Ein Taugenichts leider. Schande und Enttäuschung der Familie. Er wurde letztes Jahr wegen Diebstahls ausgeschlossen. Wir boten ihm die Möglichkeit, freiwillig zu gehen - schließlich ist sein Vater Sir Francis Quilter, da muß man gewisse Rücksichten nehmen. Aber er lehnte es ab zu gehen und bestand auf einem Nachweis der Delikte, die ihm zur Last gelegt wurden.«
Lockwood rückte seine Krawatte zurecht, und in seiner Stimme lag Bedauern, als er weitersprach: »Preston war Kleptomane, Inspector. Es bereitete überhaupt keine Schwierigkeiten, die Beschuldigungen zu beweisen. Wie dem auch sei, nachdem er die Schule verlassen hatte, ging er zu Verwandten nach Schottland, um dort eine Lehre zu beginnen. Die ganze Hoffnung und wahrscheinlich auch der Stolz der Familie ruhen nun auf Chas' Schultern.«
»Eine schwere Last.«
»Nicht für einen Jungen mit dieser Begabung. Chas möchte Chirurg werden wie sein Vater. Auch Preston hätte wohl diese Laufbahn eingeschlagen, wenn er sich nicht am Besitztum anderer vergriffen hätte. Ja, das war eine üble Geschichte. Es hat natürlich auch früher schon Ausschlüsse gegeben. Aber das war der schlimmste.«
»Und Sie sind wie lange hier?«
»Dies ist das vierte Jahr.«
»Und vorher?«
Lockwood machte den Mund auf und schloß ihn wieder. Mit zusammengekniffenen Augen sah er Lynley an, der so geschickt den Kurs geändert hatte.
»Ich war im öffentlichen Schuldienst«, sagte er schließlich. »Darf ich fragen, was das mit Ihrer Untersuchung zu tun hat, Inspector?«
Lynley zuckte leicht die Achseln. »Ich mache mir gern ein Bild von den Menschen, mit denen ich es zu tun habe«, antwortete er, obwohl er genau wußte, daß Lockwood diese nichtssagende Erklärung weder glaubte noch akzeptierte. Wie denn auch, wo Sergeant Havers stocksteif am Tisch saß und jedes seiner Worte mitschrieb?
»Ah ja. Da Sie nun diese Information haben, gestatten Sie mir vielleicht, selbst um einige Informationen zu bitten.«
»Aber gern. Wenn ich sie Ihnen geben kann, jederzeit.«
»Gut. Sie sind den ganzen Morgen hier
Weitere Kostenlose Bücher