03 - Auf Ehre und Gewissen
gewesen. Sie haben mit Schülern gesprochen. Sie haben die Schule besichtigt. Wenn ich recht unterrichtet bin, war Ihre Kollegin auf der Krankenstation und hat sich mit Mrs. Laughland unterhalten. Gibt es einen Grund dafür, daß in dieser ganzen Zeit niemand auf den Gedanken gekommen ist, eine Fahndung auf den Straßen einzuleiten, um den Autofahrer zu finden, der einen kleinen Jungen mitgenommen und ermordet hat?«
»Ich verstehe Ihre Frage«, sagte Lynley freundlich, während Havers an ihrem Ende des Tischs unbeeindruckt weiterschrieb. Dies war ihr gemeinsames Spiel: Der eine bot Verständnis an, der andere versagte es. Eine gut eingespielte Taktik, um den Verdächtigen immer ein wenig im Unklaren zu lassen. In den vergangenen achtzehn Monaten ihrer Partnerschaft hatten sie das Spiel wohl hundertmal gespielt. Jetzt taten sie es automatisch.
»Aber das Problem liegt, so wie ich es sehe, darin«, fuhr Lynley fort, »daß Bredgar Chambers sehr abgelegen ist. Ich frage mich, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß unter diesen Umständen ein Dreizehnjähriger überhaupt jemanden gefunden hätte, der ihn mitnehmen konnte.«
»Er muß jemanden gefunden haben, Inspector. Sie wollen doch nicht unterstellen, daß er den ganzen Weg bis nach Stoke Poges zu Fuß gegangen ist?«
»Ich unterstelle lediglich, daß Matthew möglicherweise gar nicht versucht hat, per Anhalter irgendwohin zu gelangen. Daß er vielmehr bereits eine Fahrgelegenheit hatte. Daß er den Fahrer kannte. Und wenn das zutrifft, dann, denke ich, ist unsere Zeit hier sinnvoller angelegt als irgendwo anders.«
Lockwoods Gesicht rötete sich. »Wollen Sie damit sagen, daß jemand von der Schule - Sie wissen doch so gut wie ich, daß der Tod dieses Kindes, so tragisch er ist, mit dieser Schule nichts zu tun hat.«
»Zu dieser Schlußfolgerung konnte ich bisher leider nicht gelangen.«
»Er ist durchgebrannt, Inspector. Er hatte es sehr geschickt so eingerichtet, daß es den Anschein hatte, er befände sich an zwei Orten zugleich. Dann machte er sich davon, um zu seinen Freunden nach London zurückzukehren. Es ist schlimm, daß das geschah. Aber es ist nun einmal geschehen. Er hat sich über die Schulvorschriften hinweggesetzt, und daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Aber es ist nicht die Schuld der Schule, und ich habe auch nicht die Absicht, die Schuld auf mich zu nehmen.«
»Die Lehrer haben ihre Privatautos hier. Und die Schule hat gewiß mehrere Fahrzeuge zur Beförderung der Schüler.«
»Die Lehrer?« rief Lockwood empört. »Die Lehrer?«
Lynley ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Nicht unbedingt«, erwiderte er und wartete, bis der Direktor die Bedeutung seiner Worte verstanden hatte. Dann fuhr er fort, als müsse er seine Bemerkung erläutern: »Sie haben eine Reihe Angestellter hier, Gärtner, Hauspersonal, Küchenpersonal - ganz zu schweigen von den Ehepartnern der Lehrer, die auf dem Schulgelände wohnen. Außerdem die Schüler selbst -«
»Sie sind ja wahnsinnig geworden«, sagte Lockwood wie betäubt. »Die Leiche des Kindes wurde am Sonntag abend gefunden. Er war seit Freitag vermißt. Das ist doch der beste Beweis dafür, daß er einen langen Fußmarsch machen mußte, ehe er eine Mitfahrgelegenheit fand.«
»Vielleicht. Aber er trug seine Schuluniform, als er fortging. Das ist doch ein eindeutiger Hinweis darauf, daß er nicht fürchtete, erkannt und zur Schule zurückgebracht zu werden.«
»Er hat sich wahrscheinlich in die Felder und Bachsenken geschlagen - und in den Wald -, bis er weit genug weg war. Der Junge war kein Dummkopf. Er war ein Stipendiat. Das war kein Kind, dem es an Intelligenz fehlte, Inspector.«
»Ach ja, dieses Stipendium interessiert mich. Wann genau wurde die Schule davon in Kenntnis gesetzt, daß Matthew an einer Aufnahme interessiert war?«
Lockwood stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und kehrte mit einer Akte zurück, die er eilig durchblätterte, ehe er antwortete: »Seine Eltern meldeten ihn an, als er acht Monate alt war.«
»Und das Stipendium?«
»Die Information über die Stipendien, die wir anbieten, gehen regelmäßig an die Eltern solcher Kinder, die sich um Aufnahme beworben haben und im folgenden Jahr in die Sexta kommen. Dieses Stipendium wird speziell an Schüler vergeben, die akademische Eignung und finanzielle Bedürftigkeit nachweisen können.«
»Nach welchen Prinzipien wird der Stipendiat ausgewählt?«
»Der Schüler bewirbt sich über ein Mitglied des
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