Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
muß nachts, wenn es dunkel ist, mit einer Decke über dem Kopf und einer Taschenlampe losziehen und Zauberpilze suchen. Kein Mensch ißt sie. Sie liegen hinterher nur rum zum Beweis, daß man sich getraut hat. Das waren solche Sachen, die Matt nicht interessiert haben.«
    »War er erhaben darüber?«
    »Nein, es hat ihn einfach nicht interessiert.«
    »Er interessierte sich für den Modelleisenbahn-Club«, sagte Arlens.
    Die anderen Jungen verdrehten die Augen bei der Bemerkung. Ein Interesse an Modelleisenbahnen war in den Augen dieser Knaben offenbar reichlich kindisch.
    »Und fürs Lernen«, warf Wedge ein. »Das hat er sehr ernst genommen.«
    »Ja, und seine Eisenbahnen auch«, beharrte Arlens.
    »Habt ihr mal seine Eltern kennengelernt?« fragte Lynley.
    Füßescharren, unruhiges Hin- und Herrutschen auf den Betten - verräterisch genug auf diese Frage.
    »Ihr hattet doch einen Elternsprechtag, oder nicht? Habt ihr sie da kennengelernt?«
    Smythe-Andrews antwortete, ohne von seinen Schuhen aufzublicken. »Matts Mutter hat früher in einem Pub gearbeitet.
    Und sein Vater macht irgendwo außerhalb von London Grabsteine. Matt - er hat überhaupt nicht versucht, das zu verheimlichen wie andere das vielleicht getan hätten. Ihm war's gleich. Er war eher stolz drauf.«
    Bei diesen Worten, bei den Reaktionen der Jungen fragte sich Lynley, ob sich an diesen Schulen irgend etwas geändert hatte; ja, ob sich in der Gesellschaft überhaupt etwas geändert hatte.
    »Matthew hat an eine Frau namens Jean einen Brief geschrieben. Wißt ihr, wer diese Frau ist? Er hat offenbar bei ihr zu Abend gegessen.«
    Die Jungen schüttelten alle drei den Kopf. Ihre Unwissenheit wirkte echt. Lynley zog seine Taschenuhr heraus, sah nach der Zeit und stellte eine letzte Frage.
    »Matthews Eltern glauben nicht, daß er von hier weglaufen wollte. Glaubt ihr, daß er durchgebrannt ist?«
    Smythe-Andrews antwortete für alle. Er lachte einmal kurz auf und sagte bitter: »Wir würden alle von hier abhauen, wenn wir den Mumm dazu hätten. Und einen Platz, wo wir hin könnten.«
    »Matthew hatte einen solchen Platz?«
    »Sieht so aus.«
    »Vielleicht glaubte er das nur. Vielleicht glaubte er nur, er hätte einen sicheren Platz, und lief in Wirklichkeit direkt in den Tod. Man hatte ihn gefesselt. Und gefoltert.«
    In einer der Zellen polterte es laut. Arlens war ohnmächtig zu Boden gestürzt.

    Gleich würde die Geschichtsstunde anfangen. Harry Morant wußte, daß er hätte hingehen sollen; er gehörte zu einer Gruppe, die an diesem Morgen ein Referat halten sollte. Sein Fehlen würde auffallen. Man würde eine Suchaktion nach ihm starten. Aber es war ihm egal. Alles war ihm egal. Matthew Whateley war tot. Alles hatte sich geändert. Das Gewicht der Macht hatte sich verlagert. Er hatte alles verloren.
    Eine Zeitlang war er nach Monaten des Terrors in seliger Sicherheit gewesen. Drei herrliche Wochen lang hatte er kennengelernt, was es hieß, abends einschlafen zu können, ohne Angst haben zu müssen, rüde geweckt, aus dem Bett gezerrt und zu Boden geworfen zu werden; ohne Angst vor der hämisch grunzenden Stimme und den grauenvollen Worten: »Kleine Abreibung gefällig, Bubi? Kleine Abreibung gefällig?« ; vor den schnellen Schlägen ins Gesicht, die nie so hart waren, daß sie Male hinterließen, vor den Händen, die ihn packten und drückten und pufften, vor dem Gang durch einen finsteren Korridor zur Toilette, wo eine Kerze angezündet wurde und die Kloschüssel wartete, die bis zum Rand mit Kot und Urin gefüllt war, und wo die Stimme sagte: »Gründliche Wäsche heut abend, kleiner Rotzlöffel«, und wo er dann in den widerlichen Dreck getunkt wurde und krampfhaft versuchte, sich das Weinen und das Erbrechen zu verkneifen, und es nicht konnte.
    Harry konnte nicht verstehen, warum gerade er ausgesucht worden war. Er hatte doch, seit er nach Bredgar Chambers gekommen war, alles getan, wie es von ihm erwartet wurde. Seine älteren Brüder waren vor ihm auf der Schule gewesen und hatten ihn lange im voraus darauf vorbereitet, was er zu tun hatte, wenn er akzeptiert werden wollte. Und er hatte alles getan. Er war bis zur Spitze des Glockenturms hinaufgeklettert - die enge Wendeltreppe hinauf, in der man Platzangst bekam - und hatte oben seinen Namen in die Mauer eingekratzt. Er hatte das Rauchen gelernt - obwohl es ihm nicht besonders schmeckte - und hatte jeden Auftrag, den er von einem Hausältesten bekommen hatte, brav ausgeführt. Er hatte

Weitere Kostenlose Bücher