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03 - Auf Ehre und Gewissen

03 - Auf Ehre und Gewissen

Titel: 03 - Auf Ehre und Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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entgegengelaufen und ihm dann, lachend und eifrig sprechend, in Richtung Speisesaal gefolgt.
    Die Freundschaft mit Chas tat Brian sichtlich gut. Sie hatte ihn aus der Isolation gelöst und gab ihm eine Sicherheit, die es ihm ermöglichte, mit anderen in Kontakt zu treten, die selbstbewußter waren als er. Während Emilia jetzt die beiden Jungen betrachtete, die mit gesenktem Kopf über ihren Aufgaben saßen, fragte sie sich, ob Brians Versagen als Hausältester von Matthew Whateley sich auf die Freundschaft zwischen ihnen auswirken würde. Es setzte Chas als Schulpräfekten in ein schlechtes Licht. Es setzte die ganze Schule in ein schlechtes Licht. Und letztlich warf es auch ein schlechtes Licht auf seinen Vater. Ganz gleich, was geschah, Brian würde der Verlierer sein.
    Es war, dachte Emilia, so wahnsinnig ungerecht.
    Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag öffnete sich die Tür des Chemiesaals. Emilia erstarrte. Es war die Polizei.
    Gleich beim Eintritt in den Chemiesaal sah Lynley, daß Barbara Havers' Behauptung, hier habe sich seit Darwins Zeiten kaum etwas verändert, nicht übertrieben gewesen war. Von moderner Wissenschaft konnte hier keine Rede sein. Gasleitungen zogen sich an der Decke entlang, der Parkettboden hatte große Sprünge, die Beleuchtung war schlecht, die Tafel so abgenützt, daß die angeschriebenen Aufgaben mit den verwaschenen Schatten Hunderter anderer Aufgaben darunter zu verfließen schienen.
    Die acht Schüler im Raum saßen auf unmöglich hohen Holzhockern vor zerkratzten weißen Arbeitstischen. In die Tischplatten eingelassen waren kleine rechteckige Porzellanbecken und rostige Bunsenbrenner. In den Glasschränken an der Wand standen Meß- und Mischzylinder, Ständer mit Pipetten, Meßkolben, Bechergläser und ein bemerkenswertes Sortiment verkorkter, mit handgeschriebenen Etiketten versehener Flaschen, die Chemikalien enthielten. Oben auf diesen Schränken reihten sich in Holzgestellen Büretten, die zum Abmessen und Mischen kleinster Mengen von Flüssigkeiten dienten. Gemischt wurde im Abzug, der auf einem Arbeitstisch auf der anderen Seite des Raums stand, ein uraltes Stück aus Glas und Mahagoni mit nur einem rostigen Ventilator zur Entlüftung.
    Das ganze Schullabor hätte schon vor Jahren völlig neu eingerichtet werden müssen. Daß keinerlei Modernisierung vorgenommen war, gab Aufschluß über die finanzielle Lage der Schule. Man konnte sich unschwer vorstellen, wie hart Alan Lockwood sich plagen mußte, um den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten, neue Schüler zu werben und die Mittel lockerzumachen, die nötig waren, um die Schuleinrichtungen auf einen modernen Stand zu bringen.
    Emilia Bond ging zum Abzug, zog die Glasscheibe herunter, die mit einem weißlichen Film beschlagen war, und wandte sich wieder den Schülern zu, die alle ihre Arbeit unterbrochen hatten und Lynley und Havers anstarrten.
    »Bitte arbeiten Sie weiter«, sagte sie und ging zur Tür.
    »Guten Tag. Ich bin Emilia Bond, die Chemielehrerin. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    Sie sprach mit flotter Selbstsicherheit, aber Lynley spürte die Nervosität dahinter.
    »Inspector Lynley, Sergeant Havers, Scotland Yard«, sagte er, obwohl ihm klar war, daß die Vorstellung eigentlich überflüssig war. Emilia Bond wußte zweifellos, wer sie waren, und auch, warum sie zu ihr in den Chemiesaal gekommen waren. »Wir würden gern einen Ihrer Schüler sprechen, wenn Sie erlauben. Brian Byrne.«
    Alle außer der Lehrerin sahen den Jungen an, der neben Chas Quilter saß. Er blickte nicht sogleich auf, sondern hielt den Kopf weiter über dem aufgeschlagenen Heft gesenkt, ohne allerdings zu schreiben.
    »Bri«, murmelte Chas.
    Erst da hob der Junge den Kopf.
    Lynley wußte, daß Brian Byrne als Schüler der Abschlußklasse siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein mußte, aber der Junge sah auf unerklärliche Weise jünger und älter zugleich aus. Das beinahe Kindhafte kam von dem weichen, runden Gesicht, in dem sich noch nicht einmal der Ansatz zur endgültigen Ausformung der Züge des Erwachsenen zeigte, der bei seinen Kameraden bereits deutlich sichtbar war. Der Eindruck des Gesetzten rührte von dem schon jetzt fliehenden Haaransatz her und von dem muskulösen Körper, der an den eines durchtrainierten Ringers erinnerte.
    Als Brian langsam von seinem Hocker glitt, machte Emilia Bond eine unwillkürliche Bewegung, als wollte sie sich zwischen Brian und die Polizei stellen, und sagte: »Ist das wirklich nötig,

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