03 - Der Herr der Wölfe
den Raum geschleudert. Er prallte gegen eine Wand, fand aber sofort sein Gleichgewicht wieder und stürzte sich auf den Angreifer, den Melisande für einen weiteren Dänen hielt. Beide wälzten sich am Boden, schwarze Schattengestalten, erhoben sich wieder, und sie hörte dumpfe Fausthiebe, klirrende Messer, die in der Dunkelheit funkelten.
Vorsichtig hüllte sie sich wieder in den Umhang, schlich zur Tür, und als ein neues Geräusch erklang, hielt sie inne. Eine Klinge, die menschliches Fleisch durchbohrte … Einer der Männer brach zusammen, der Sieger wandte sich zu ihr. Verzweifelt stürmte sie zu den Stufen.
»Nein, Melisande! «
Vor lauter Angst verstand sie ihren eigenen Namen nicht, rannte blindlings weiter, wehrte sich verbissen gegen die Finger, die ihren Umhang packten. Sie wurde herumgedreht, an eine Wand gedrückt und wieder presse sich eine Hand auf ihren Mund.
»Melisande! Ich bin’s!«
Conar … Ihr Körper wurde immer schwächer, ungläubig starrte sie ihn an. Die Beine trugen sie nicht mehr, aber er umfing sie mit beiden Armen und sank auf ein Knie. ja, er war es. Im schwachen Fackelschein, der durch die Tür hereindrang, sah sie Wolfsfelle, die über seinem Kettenhemd hingen. Der konische Helm verbarg den Kopf und die Nase, ließ nur die blauen Augen frei, die Melisandes rauhen geborgten Umhang, die Schmutzflecken auf ihrer Haut und ihre Tränen anstarrten. »Bei den Göttern! « flüsterte er leidenschaftlich. »Wenn sie dich verletzt haben … «
Sie schüttelte den Kopf und bemühte sich, klar zu denken. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so beklemmende Angst empfunden, noch nie war ihr die eigene Schwäche so schmerzlich bewußt geworden. Aber jetzt war er hier - bei ihr. Sie suchte nach Worten, bekämpfte ihr heftiges Zittern, die Tränen. »Geoffrey warf mich in dieses feuchte, kalte Loch, dann ging er fort. Und du kamst gerade noch zur rechten Zeit, ehe mir dieser Mann etwas antun konnte.«
Rasch tastete Conar ihren Körper ab, berührte ihre Wange, um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich unversehrt war. Dann schmiegte sie sich schluchzend an ihn und schlang einen Arm um seinen Hals.
»O Melisande … « Er rückte ein wenig von ihr ab, strich ihr das zerzauste schwarze Haar aus dem Gesicht. »Kannst du aufstehen und gehen?«
Erst jetzt erkannte sie, was er getan hatte. Er war allein in Wikingerkleidung ins feindliche Lager eingedrungen, um sie zu befreien. Und bei ihrer Ankunft hatte sie so viele Dänen zwischen den Ruinen im Mondlicht gesehen … Sie nickte, erhob sich und stützte sich auf Conars Schulter. Obwohl sie immer noch bebte, ließ sie ihn los, und er sprang auf.
»Wie bist du hierhergekommen?« wisperte sie.
»Ich sagte doch, ich würde dich niemals gehen lassen.«
Schmerzhaft gruben sich ihre Fingernägel ins Fleisch, als sie die Hände ballte. »Glaub mir, ich wollte nicht fliehen. Sie kamen in den Turm - und holten mich … «
»Pst, ich weiß. Sei jetzt still. Wir müssen von hier verschwinden.«
»Willst du gegen all die Dänen da draußen kämpfen?«
Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich gehe einfach zwischen ihnen hindurch, auf die gleiche Weise, wie ich hierhergelangt bin. Und du musst vorgeben, ich wäre einer von ihnen - ein schrecklicher Feind. Vielleicht fällt dir das gar nicht so schwer.«
»O Conar … «, flüsterte sie beschämt.
»Verzeih mir. Vorerst haben wir keine Zeit für irgendwelche Diskussionen. Es muss so aussehen, als wärst du immer noch gefangen, als würde ich dich nur in ein anderes Verlies bringen. Verstehst du?«
Wieder nickte sie, und er zog die schwere Tür weiter auf. Im Flur vertrat ihnen niemand den Weg. Der einzige Bewacher war der Mann gewesen, der jetzt tot in der Zelle lag. Melisande holte tief Luft und spürte Conars Hand, die ihren Arm umklammerte. »Schnell!« mahnte er.
Während sie durch den Gang liefen, hielt sie den Umhang fest am Hals zusammen. Als sie die uralten, unebenen Stufen erreichten, die zur kühlen Nachtluft hinaufführten, kam ihnen ein Mann in Ledersandalen, kurzer Hose und Bärenfellen entgegen. »Wer ist da?«
»Ich bringe sie hinaus, mein Freund«, erwiderte Conar in gleichmütigem Ton.
»Wartet!« Der Däne zog sein Schwert. »Wohin?«
»Nach Hause«, verkündete Conar, schob Melisande hinter sich und zückte seine eigene Waffe.
Kraftvoll parierte er den Angriff, dann stieß er seine Klinge in den Bauch des Gegners. »Nach Hause«, wiederholte er. »Sie ist nicht Geoffreys Frau,
Weitere Kostenlose Bücher