03 Die Auserwählten - In der Todeszone
und schrien aus vollem Hals mit rotem Kopf und hervortretenden Halsschlagadern.
Manche drängten sich in Grüppchen zusammen, hielten die Arme verschränkt und blickten ruckartig nach links und rechts, als rechneten sie jederzeit mit einem Angriff. Andere waren vom Segen benebelt und weggetreten. Selig lächelnd saßen oder lagen sie auf dem Boden und kriegten von dem Chaos um sie herum nicht das Geringste mit. Ein paar Wächter patrouillierten, ihre Waffen im Anschlag, aber sie waren zahlenmäßig weit unterlegen.
»Erinnere mich dran, hier keine Wohnung zu kaufen«, meinte Minho.
Thomas fand das nicht lustig. Er hatte Angst und wollte das Ganze so schnell wie möglich hinter sich bringen.
»Wo ist die Bowlingbahn?«, fragte er.
»Da drüben«, sagte der kleinere Wächter.
Er ging nach links, immer dicht an der Wand entlang. Thomas und die anderen folgten ihm. Brenda lief neben Thomas, ihre Arme berührten sich bei jedem Schritt. Er hätte gerne ihre Hand genommen, aber er wollte keine Bewegung machen, mit der er vielleicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Er konnte diese Menschen nicht einschätzen und wollte sich so unauffällig wie möglich verhalten.
Die meisten Cranks hielten trotzdem in ihren fieberhaften Aktivitäten inne und starrten die Neuankömmlinge an, die an ihnen vorbeigingen. Thomas sah zu Boden und vermied jeden Blickkontakt aus Angst, Aggressionen zu provozieren oder angesprochen zu werden. Die Freunde wurden mit Buhrufen, Pfiffen, derben Witzen und Beleidigungen überschüttet. Sie gingen an einem heruntergekommenen Laden vorbei, und Thomas konnte durch die offenen Fenster sehen, dass die Regale so gut wie leer waren – die Scheiben waren schon vor langer Zeit eingeschlagen worden. Es gab auch eine Arztpraxis und einen Imbiss, aber nirgendwo dort brannte Licht.
Jemand grabschte nach Thomas’ Schulter. Er schlug die Hand weg und drehte sich um. Es war eine Frau. Ihr dunkles Haar war zerzaust, am Kinn hatte sie einen Kratzer, aber ansonsten sah sie eigentlich relativ normal aus. Sie runzelte die Stirn und starrte ihn einen Moment lang an, bevor sie ihren Mund so weit aufriss, wie sie konnte, und dabei ihre Zähne und eine geschwollene, blasse Zunge zeigte. Dann schloss sie ihren Mund wieder.
»Ich will dich küssen«, sagte die Frau. »Was meinst du, Muni?« Sie lachte, ein irres Gackern und wildes Prusten, und strich Thomas mit der Hand über die Brust.
Thomas zuckte weg und ging schnell weiter. Er bemerkte, dass die Wächter nicht mal stehengeblieben waren, um einzugreifen.
Brenda lehnte sich zu ihm und flüsterte: »Das fand ich bis jetzt am gruseligsten.«
Thomas nickte nur und ging weiter.
Die Bowlingbahn hatte keine Türen – nach der dicken Rostschicht zu urteilen, die die Türangeln bedeckte, waren sie schon vor langer Zeit ausgehängt und weggeschafft worden. Ein großes Holzschild hing über dem Eingang, aber die Schrift darauf war nicht mehr lesbar, es waren nur noch verblasste Farbreste zu erkennen.
»Er ist da drin«, sagte der Wächter mit dem Schnurrbart. »Jetzt her mit dem Geld.«
Minho ging an ihm vorbei auf den offenen Eingang zu und sah hinein. Dann drehte er sich um und sah Thomas an.
»Er ist da hinten«, sagte Minho mit sorgenvollem Blick. »Ist dunkel da drin, aber er ist es. Ganz sicher.«
Bisher hatte sich alles nur darum gedreht ihren alten Freund zu finden. Deswegen hatte sich Thomas noch keine Gedanken darüber gemacht, was sie ihm eigentlich sagen wollten. Warum hatte er ihnen ausrichten lassen, dass sie sich verpissen sollten?
»Gebt uns unser Geld«, wiederholte der Wächter.
Jorge ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ihr bekommt das Doppelte, wenn ihr uns sicher zu unserem Berk zurückbringt.«
Die beiden Wächter beratschlagten, dann ergriff der kleinere das Wort: »Das Dreifache. Und wir wollen die Hälfte sofort, um sicherzugehen, dass das nicht nur heiße Luft ist.«
»Abgemacht, muchacho .«
Als Jorge seine Karte rauszog und sie gegen die des Wächters hielt, um das Geld zu überweisen, fand Thomas die Vorstellung befriedigend, dass sie damit ANGST bestahlen.
»Wir warten hier auf euch«, sagte der Wächter, als er das Geld erhalten hatte.
»Kommt«, sagte Minho zu seinen Freunden. Er ging in das Gebäude, ohne eine Antwort abzuwarten.
Thomas sah Brenda an, die die Stirn gerunzelt hatte.
»Was hast du?«, fragte er. Als ob der fürchterliche Ort nicht genug Anlass zur Sorge gäbe.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie.
Weitere Kostenlose Bücher