03 Göttlich verliebt
Welchen Sinn sollte das haben?
Lucas war sich ohne Zweifel bewusst, dass der Zitronenhai kein Spielzeug war, und begegnete ihm mit der nötigen Achtung. Trotzdem huschten die beiden durchs Wasser, als würden sie Fangen spielen.
Das erinnerte Helen daran, wie Lucas sich im Ring bewegte, wenn er und Hector ihre Kampftechnik trainierten. Sie erkannte, dass er jetzt genau dasselbe machte. Er trainierte seine Reflexe und Techniken mit einem Sparringspartner der anderen Art. Vielleicht tat der Zitronenhai dasselbe.
Lucas merkte, dass Helen ihm zusah. Er schoss durchs Wasser auf sie zu, die Arme ausgebreitet wie Flügel. Helen streckte sich auf den Dielenbrettern der Veranda aus und lächelte zu ihm hinunter. Es erstaunte sie, dass er nach allem, was sie durchgemacht hatten, immer noch diese Wirkung auf sie hatte. Sie konnte sich an so viele Leben erinnern, von denen ein paar nur einige wenige Jahre gedauert hatten und andere viele Jahrzehnte – und trotzdem war sie jedes Mal wieder so aufgeregt wie ein Mädchen, das noch nie geküsst worden war.
Lucas zog sich aus dem Wasser und setzte sich im Schein der aufgehenden Sonne neben sie.
»Das habe ich mir schon immer gewünscht – unter Wasser bleiben zu können und nicht zum Atmen auftauchen zu müssen«, sagte er so freudig, dass seine Stimme ganz hoch und jungenhaft klang. »Hector und Jason haben mich zwar immer ums Fliegen beneidet, aber ich bin jedes Mal ein kleines Stück gestorben, wenn sie zusammen ins Wasser gesprungen und stundenlang weggeblieben sind. Ich konnte sie nie begleiten.«
Helen hörte den traurigen Unterton in seiner Stimme, und ihr wurde bewusst, wie isoliert von seinen Cousins er gelebt hatte. Er konnte sie nicht zum Fliegen mitnehmen und sie ihn nicht unter Wasser. Helen wusste, dass er Hector und Jason nicht um ihre Fähigkeiten beneidete. Es hatte ihn nur bedrückt, dass sie ihre Begabung miteinander teilen konnten, während er mit seiner allein war – bis Helen auftauchte.
Lucas schaute gedankenverloren in die Wellen. »Wird das jetzt so bleiben?«, fragte er. »Werde ich auch weiterhin unter Wasser atmen können?«
»Ja«, bestätigte Helen. »Hades sorgt in seinem Reich dafür, dass niemand besondere Fähigkeiten hat – außer ihm natürlich. Auf diese Weise muss er keine Begabungen an Personen verteilen, mit denen sie nicht bereits geboren wurden. Hades ist clever. Er vermeidet das Problem, zu viel Macht zu verleihen, indem er alle Kräfte aufhebt, solange man bei ihm ist.«
»Das hast du nicht getan«, stellte Lucas fest.
»Ich konnte es nicht. Ich musste dich heilen. Und jetzt will ich, dass du Spaß hast«, gestand Helen. »Ich möchte, dass du dich an allem erfreust, was ich dir geben kann. Aber damit du unter Wasser atmen kannst, musste ich deinen Körper dauerhaft verändern. Deswegen bin ich auch nicht sicher, wie viele Scions ich hierherbringen sollte. Natürlich würde ich ihnen das hier gern zeigen, aber was, wenn ich …«
»Wenn du versehentlich ein Heer von Scions erschaffst, die vielfältigere Fähigkeiten haben als die Götter des Olymp?«, fragte Lucas. »Das will gut durchdacht sein.«
»Ich könnte ihnen unbegrenzte Macht verleihen.«
Lucas spann den Gedanken weiter. »Wieso hat Zeus das nicht schon getan? Sich selbst und den anderen Olympiern alle Fähigkeiten verliehen, die man sich nur vorstellen kann?«
»Keine Ahnung. Vielleicht hat er es nicht so mit dem Teilen seiner Macht«, vermutete Helen. »Vielleicht hat er aber genau wie Hades gewisse Regeln für seine Welt aufgestellt, die es ihm verbieten, anderen mehr Macht zu geben. Aber ich weiß wirklich nicht, wie es auf dem Olymp zugeht. Ich war noch nie dort.«
»Ich habe gehört, dass da tolle Orgien gefeiert werden«, scherzte Lucas. »Mit Ambrosia, dem Nektar der Götter, und Nymphen. Massenhaft Nymphen.«
»Klar, man muss dafür sorgen, dass sie satt und zufrieden sind, damit sie nicht rebellieren«, sagte Helen grinsend. Sie kicherten beide und ihre Blicke trafen sich. Lucas nahm ihre Hand und schaute zur Seite.
Sein Blick wanderte über den Horizont und die großartige Aussicht, als wollte er sie sich einprägen. Er sah Helen wieder an und wurde ernst. »Was macht die Familie?«
»Sie machen sich alle Sorgen. Wir sollten zurückgehen«, antwortete sie zögernd. »Hier vergeht die Zeit genauso wie auf der Erde, und sie warten darauf, dass ich mit dir zurückkomme.«
Helen hätte nur zu gern bis in alle Ewigkeit mit Lucas in der Hütte
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