03 Göttlich verliebt
Sie rannte zu ihm und packte seine Schultern, bevor er zu seinen Männern hinauslaufen und mit ihnen feiern konnte. »Orion. Lass nicht zu, dass Poseidon diese Insel zerstört. Kämpf gegen seine Erdbeben und die Flutwellen. Bist du stark genug, dich ihm entgegenzustellen?«
»Ich werde es versuchen«, sagte Orion, der ganz blass geworden war. »Ist das die Art, wie sie diesen Krieg führen werden?«
»Ja«, bestätigte Cassandra mit fremder Stimme. Helen schauderte unwillkürlich, als hätte man sie mit Eiswasser übergossen.
Orion und Helen fuhren herum zum Orakel. Das Licht um Cassandra leuchtete farbig auf und ihr Körper wurde heftig geschüttelt, als bekäme sie von innen Schläge ab, doch ihre Stimme und ihr Gesicht veränderten sich nicht, solange sie noch gegen die Parzen kämpfte.
»Die zwölf Unsterblichen können sich nicht im offenen Kampf mit Sterblichen messen. Tyrann, sie werden ihre finstersten Waffen auf dich richten, bis du Zeus als Gleichgestellte entgegentrittst. Zögere nicht. Einer von euch muss in den Tartaros und den Zyklus vollenden.«
»Das werden wir ja sehen«, konterte Helen trotzig.
Cassandras zarter Körper zuckte, als stünde er unter Strom. Ihr Gesicht wurde ganz runzlig, und ihre Augen trübten sich, als sich die Schlimmste der drei Parzen, Atropos – die den Faden des Lebens durchschnitt –, in den Vordergrund drängte und von Cassandra Besitz ergriff.
»Der Schleier von Nemesis wirkt nicht bei denen, die bereits blind sind«, sagte Atropos und stach Cassandra einen Finger ins Auge.
»Orion!«, kreischte Helen.
Orion stürzte auf Cassandra zu, um die gewalttätige Prophezeiung zu stoppen, die sie von innen heraus zu zerstören drohte. Aber die alte Frau tanzte in Cassandras Körper gekonnt vor ihm weg.
»Du wirst unser Sprachrohr nicht noch einmal stehlen, hübscher Junge«, gackerte Atropos. Um Orion zu necken, ließ sie Cassandras Hüften verführerisch kreisen. »Poseidon lässt seine dunkelsten Lieblinge vom Grund des Meeres auftauchen. Diesmal kommt der Krake, um euch zu töten!«
Orion schlang die Arme um Cassandra, und als die Parzen endlich aus ihr vertrieben wurden, schwankte sie heftig. Er hob sie mühelos hoch wie eine Puppe und trug sie zu einem Stuhl, damit er sich hinsetzen und sie auf dem Schoß halten konnte.
»Kitty-Katze?«, sagte er sanft und berührte ihr Gesicht, doch Cassandra reagierte nicht. »Komm schon, wach auf.« Orion schüttelte sie und seine Angst machte ihn richtig wütend. »Cassandra!«, rief er im Befehlston, aber sie rührte sich immer noch nicht.
Helen sah etwas in Orion aufblitzen, und bevor er die Emotion verbergen konnte, erkannte sie das Gefühl. Es war das helle Aufleuchten der Liebe.
Von den Soldaten auf dem Schlachtfeld drangen panische Schreie zu ihnen ins Zelt. Lucas, Hector und Castor kamen hereingestürmt, leichenblass und zu Tode erschrocken.
»Was ist passiert?«, fragte Helen, die das Schlimmste befürchtete, aber die Männer waren noch zu geschockt, um zu reden.
Helen hörte, wie Andy auf der Rückseite des Zeltes, der Landseite, den Kriegern mit ihrer Sirenenstimme befahl, die Stellung zu halten. Einen Moment später tauchte sie angsterfüllt unter der hinteren Zeltklappe hindurch.
»Da kommen Dinge aus dem Wasser!«, kreischte sie nahezu hysterisch. »Eklige Fischmänner und Krebsfrauen und –« Sie brach ab und ihr ganzer Körper schüttelte sich. »Die sind total schleimig! Ich bin eine halbe Sirene. Ich habe die meisten ekligen Viecher auf dem Meeresboden gesehen, aber diese Dinger sind einfach nur widerlich!«
Andys Ausbruch weckte Jason und er kam taumelnd auf sie zu. Sein Gesicht wirkte abgezehrt und glich einem Totenschädel. Er zeigte auf Cassandra, die immer noch auf Orions Schoß lag.
»Was ist passiert?«, krächzte er.
»Prophezeiung«, antwortete Orion. »Sie wacht nicht auf.«
»Was hat sie gesagt?«, fragte Lucas.
»Dass ich etwas tun muss, denn wenn ich es nicht tue, werden die Götter den Kraken auf uns loslassen.« Helen konnte es immer noch nicht fassen. »Ist der Krake überhaupt griechisch?«, stammelte sie.
Castor bekam sich als Erster wieder in den Griff und stürzte zu den Ständern mit den Rüstungen. »Jungs!«, befahl er mit rauer Stimme. »Helft euch gegenseitig mit der Rüstung. Schnell!«
Helen stand regungslos da, als sich alle auszogen und einander dann die Rüstungen anlegten. Sie konnte hören, wie laut ihr Herz schlug. Wie sollte sie dabei zusehen, wie all diese
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