03 Göttlich verliebt
zusammensackte.
Helen saß sich selbst in einer geschlossenen Pferdekutsche gegenüber. Es war dunkel in der kleinen Kabine. Das einzige Licht fiel durch die Schlitze eines winzigen, mit einem Laden verschlossenen Fensters herein. Helen fragte sich, wie sie aus der Kutsche aussteigen sollte, denn sie konnte keine Tür entdecken. Sie nahm an, dass das Fenster groß genug war, um sich hindurchzuzwängen … Wenn es nicht vergittert gewesen wäre.
Die andere Helen, die ihr gegenübersaß, war nicht die Spartanerin aus dem letzten Traum. Diese hier trug ein Kleid aus einem groben, selbst gesponnenen Stoff. In ihr Haar waren blau gefärbte Bänder eingeflochten und sie saß auf einem Haufen gegerbter Pelze. Ihre Handrücken waren mit verschlungenen blauen Mustern bemalt, die Helen vage an Irland erinnerten. Doch dann tauchte in ihren Gedanken der Begriff keltisch auf, und sie wusste, dass dieses Wort zwar auch nicht perfekt passte, aber schon stimmiger war.
Die andere Helen trug einen Dolch am Gürtel. Bei jedem Geräusch, das von draußen durch das vergitterte und verdunkelte Fenster ihrer Gefängniskutsche hereindrang, umklammerte sie verzweifelt ihre Waffe. Sie sah aus wie eine Wilde und wurde behandelt wie ein Tier im Käfig. Helen fragte sich, ob dieses »andere Ich« gefährlich war.
»Mylady Guinevere!«, rief eine vertraute Stimme von draußen.
Die Stimme von Lucas.
Guinevere öffnete den Fensterladen und Helen wurde sofort klar, warum diese Version von ihr selbst so panisch war. Guinevere und der andere Lucas hatten kaum Augenkontakt aufgenommen, als die Furien in einer Ecke der Kutsche losschluchzten.
Er saß auf einem riesigen schwarzen Pferd, das neben der Kutsche hertrabte. Gekleidet war er in schwarzes Leder und einen dicken Umhang aus Wolle und am Gürtel trug er ein langes Breitschwert. Er sah groß und gefährlich und wundervoll aus.
»Wünscht Ihr Euch zu erleichtern?«, fragte er in einer merkwürdigen Singsang-Sprache, die Helen verstand, obwohl sie sie nie zuvor gehört hatte.
»Meine Mutter hat mich Latein gelehrt, wie Ihr sehr wohl wisst«, fauchte Guinevere ihn in einer anderen Sprache an, die Helen ebenso mühelos verstehen konnte. »Sie war kein schmutziger Römer wie Ihr, sondern stammt aus dem Osten.«
»Ich bin kein Römer. Nennt mich nicht so«, verlangte der andere Lucas mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen. »Sir Lancelot reicht vollkommen.«
Ihre hasserfüllten Blicke trafen sich, und keiner von beiden wollte der Erste sein, der den Blickkontakt beendete. Die Furien heulten, und es kostete Guinevere und Lancelot ihre ganze Kraft, ihre Emotionen zu kontrollieren. Helen wusste, dass nur das vergitterte Fenster sie daran hinderte, aufeinander loszugehen.
Lancelot ließ den Blick über den großen Reitertrupp schweifen, der sie begleitete, als müsste er sich ins Gedächtnis rufen, dass es zu viele Zeugen gab, um etwas Unbedachtes zu tun.
»Warum tötet Ihr mich nicht gleich jetzt?«, zischte Guinevere ihm halblaut zu. Ihr gedämpfter Ton ließ Helen erkennen, dass auch sie sich der anderen Reiter bewusst war – lauter Leute, die Guineveres irrationalen Hass auf Lancelot ebenso wenig verstehen würden wie seinen Hass auf sie.
»Dieses Vergnügen überlasse ich meinem Cousin und König Artus«, erwiderte Lancelot steif und irgendwie zögernd, als störte ihn diese Vorstellung. »Natürlich nachdem Ihr ihn geheiratet und damit die Ergebenheit Eures Clans bewiesen habt. Ich bin sicher, dass er Euch dann mit dem allergrößten Vergnügen töten wird.«
»Und Ihr nennt uns Barbaren«, fuhr Guinevere ihn an.
Sie knallte den Fensterladen zu und warf sich wieder auf ihren Pelzstapel. Helen wusste – sie erinnerte sich –, dass die Pelze Teil einer großen Mitgift von Guineveres Vater waren. Er war der Anführer ihres Clans und hatte der zukünftigen Braut viele Geschenke für ihren Bräutigam mitgegeben. Diese reichen Gaben sollten die unbesiegbaren Eindringlinge aus dem Osten besänftigen und Guinevere war das ultimative Friedensangebot. Das schönste Mädchen der Insel sollte dem großen, goldhaarigen Eroberer aus dem fernen Land zum Geschenk gemacht werden. Und alle hofften verzweifelt, dass ihm das Geschenk gefiel – denn wenn nicht, würde dieser König Artus sie womöglich alle umbringen.
Guinevere wusste, dass ihr Vater sie auf seine Art liebte. Er konnte nicht ahnen, dass er seine Lieblingstochter in den Tod schickte. Er war anders als die Männer aus dem
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