03 Göttlich verliebt
verwechseln.« Er brach ab und schluckte. »Sie betrachtete mich als ihren Feind. Seit ich acht war, durfte ich nicht mehr in ihre Nähe kommen. Und mein Dad konnte sie nicht lange unbeaufsichtigt lassen. Also musste ich ungefähr von dieser Zeit an allein zurechtkommen.«
Helen hörte seine Verbitterung, obwohl er sie zu unterdrücken versuchte. Ihr kam ein böser Verdacht. Ihre Nackenhaare sträubten sich und vor lauter Wut rauschte das Blut durch ihre Adern. Ihre Stimme bebte, als sie ihn fragte: »Hat deine Mutter dir diese Narben verpasst?«
»Nein«, antwortete Orion sofort. »Das war Corvus, der Cousin meiner Mutter. Er wollte nicht, dass ich ihr Nachfolger würde, als klar wurde, dass sie zu verrückt war, um noch länger das Haus zu führen. Ich wurde vom Haus von Athen beansprucht, und viele meiner Cousins finden immer noch, dass ich nicht dem Haus von Rom vorstehen sollte. Corvus hat mich angegriffen, als ich elf war. Dabei hat er verloren.«
Helen sah ein dunkles Feuer in Orions Brust lodern. Schwarze Flammen umflackerten sein Herz. Er hat seinen Cousin getötet, dachte sie. Orion war erst elf Jahre alt, als er einen Mann getötet hat.
»Hat deine Mutter jemals versucht … Du weißt schon …, dich umzubringen?«, fragte Helen verlegen. Orion nickte nur und starrte auf die Wellen. Helen wandte den Kopf ab und betrachtete mit ihm das Meer.
»Das war das Schrecklichste, was ich je erlebt habe«, gestand er mit tonloser Stimme.
Helen hätte ihn gern noch weiter über seine Narben und seinen Cousin Corvus ausgefragt, aber sein starres Gesicht verriet ihr, dass er für eine Nacht genügend schmerzhafte Erinnerungen ausgegraben hatte. Außerdem war sie nicht sicher, ob sie selbst noch mehr davon ertragen konnte.
»Weißt du, wovor ich Angst habe?«, fragte sie, nachdem beide lange Zeit geschwiegen hatten. »Vor dem Ozean.«
Orion lachte leise auf. »Nicht vor dem Tartaros?«
»Der Tartaros ist schon fies«, bestätigte Helen mit einem energischen Nicken. »Aber das Meer macht mir entschieden mehr Angst.«
»Und was ist mit dem, was du gerade über mich erfahren hast?«, fragte er leise. »Macht dir das auch Angst?«
»Nein«, antwortete sie. Sie musste daran denken, wie Orions Vater ihn sich selbst überlassen hatte. Wie sein Cousin ihn gejagt hatte, als er noch ein Kind gewesen war, und dass er in so ziemlich jeder Sekunde seines Lebens gewusst hatte, dass ihn die Leute, die eigentlich für ihn da sein sollten, niemals lieben würden. »Allerdings macht es mich stinksauer.«
Sie schwiegen und beide hingen lange ihren eigenen Gedanken nach.
»Danke«, sagte Orion nach einer ganzen Weile und begann, seine Stiefel aufzubinden.
»Was machst du da?«, fragte Helen verdutzt, als Orion die Stiefel auszog.
»Also, erstens finde ich es total lächerlich, dass du auf einer Insel aufgewachsen bist und Angst vor Wasser hast«, sagte er, stand auf und streifte seine Jacke ab. »Und zweitens finde ich, dass wir allmählich aufhören sollten, Angst zu haben.« Er streckte Helen die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. »Ich werde dir jetzt das Schwimmen beibringen.«
»Jetzt? Warte«, stammelte sie und zupfte an seinem Arm. »Ich glaube nicht, dass ich das kann.«
»Klar kannst du das.« Er grinste sie an. »Und jetzt zieh dich aus.«
Helen musste lächeln, aber als sie die Narben auf seinem Oberkörper sah, verstummte ihr Lachen. Einen Moment später hatte sie eine Entscheidung getroffen und sprang auf. »Wieso eigentlich nicht«, sagte sie, kickte ihre Schuhe von sich und zog sich das Hemd über den Kopf. »Ich habe einen verdammten Myrmidonen gekillt. Was ist dagegen schon ein Hai?«
»Das ist die richtige Einstellung«, lobte Orion und entledigte sich seiner Jeans. Helen machte es ihm nach und fing in der kalten Luft sofort an zu zittern.
»Werde ich da drin erfrieren?«
»Nicht, wenn ich bei dir bin. Dann wird dir das Wasser vorkommen wie ein warmes Bad«, versprach er und nahm ihre Hand. »Können wir?«
»Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich tue!«, schrie Helen im Scherz und rannte mit Orion auf den dunklen Ozean zu. Doch kurz bevor die erste Welle sie traf, blieb sie abrupt stehen und riss Orion dabei fast den Arm aus dem Gelenk. »Nein, ich kann das nicht!«, kreischte sie.
Die Welle teilte sich und flutete um sie und Orion herum wie bei Moses und dem Roten Meer.
»Danke«, sagte Helen und lächelte Orion erleichtert zu. »Einen Moment lang hatte ich echt Panik.« Erst da merkte sie,
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