03 Göttlich verliebt
stellte überrascht fest, dass Ariadne wach war.
»Hey«, sagte Ariadne und rutschte automatisch ein Stück zur Seite, um Helen Platz zu machen.
»Selber hey«, erwiderte Helen und runzelte besorgt die Stirn. In Ariadnes Herz pulsierten die verschiedensten Emotionen, und Helen war klar, dass es etwas mit Matt zu tun haben musste. Sie streifte ihre Schuhe ab und legte sich ins Bett. »Ich habe Matt gerade wegfahren sehen. Habt ihr beide geredet?«
Ariadne verlor kein Wort über ihre Gefühle und erzählte ihr stattdessen von ihrer und Matts Theorie, dass die Scions in einem sich ständig wiederholenden Zyklus festsaßen. Sie berichtete von Matts Vermutung, dass die Parzen alle Rollen besetzen wollten, und wenn ihnen das nicht gelingen sollte, würden sie einfach einen neuen Zyklus mit der nächsten Generation starten.
»Ich schätze, zu dem Schluss sind wir inzwischen alle gekommen«, bemerkte Helen mit einem Nicken. »Es würde auch erklären, wieso wir alle aussehen wie die Leute von Troja – wir sitzen sozusagen fest. Irgendwas ist damals nicht passiert, und die Parzen versuchen immer noch, etwas dagegen zu unternehmen.«
»Aber was?«, fragte Ariadne verständnislos. »Und da gibt es noch etwas, das ich nicht verstehe. Wenn die Parzen wollen, dass etwas passiert, wieso lassen sie es dann nicht einfach geschehen? Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Was meint Matt dazu?«, fragte Helen, die eine böse Vorahnung hatte.
»Er sagt, dass es in jedem Zyklus eine Macht geben muss, die gegen die Parzen arbeitet. Jemanden, der die Aufführung stört, bevor die Scions genau auf die Weise mitspielen können, wie die Parzen es wollen. Er meint, dass es Nemesis sein könnte, die gegen ihre Schwestern arbeitet.«
»Indem sie die Parzen abwehrt und einem Scion einen freien Willen gewährt«, flüsterte Helen. »Jedenfalls glaubt Lucas, dass es so ist. In jedem Zyklus hat jemand, der eine bedeutende Entscheidung treffen soll, einen freien Willen und ruiniert damit die Pläne der Parzen.«
Ariadne rieb sich die Augen. »Hat Lucas eine Vermutung, wer in diesem Zyklus den freien Willen hat?«
Helen fühlte sich, als würde das gesamte Universum anklagend mit dem Finger auf sie zeigen.
»Wir sind uns nicht sicher«, log sie.
Helen drehte sich um und öffnete die Augen. Sie rechnete damit, Ariadne neben sich liegen zu sehen, doch es war der nackte Rücken eines Mannes, der sich im Tiefschlaf beim regelmäßigen Ein- und Ausatmen hob und senkte.
Lucas, dachte Helen, die ihn sofort erkannt hatte. Sie wollte mit der Hand über seine muskulösen Schultern fahren, doch irgendetwas stimmte nicht. Der Raum, in dem sie aufgewacht war, kam ihr bekannt vor, obwohl sie ihn nie betreten hatte.
Die andere Helen setzte sich langsam auf und achtete darauf, ihren Ehemann nicht zu wecken. Sie musste sich davonschleichen, bevor Paris aufwachte, sonst konnte sie ihre Pläne für diesen Tag vergessen.
Helen sah zu, wie sich Helena von Troja ihren schlichtesten Chiton über die Schulter warf und nach einem alten Gürtel, einem Schleier und abgetretenen Sandalen griff. Ihr fiel auf, dass Helena von Troja ein braunes Auge hatte und eines, das von einer blitzförmigen Narbe quer durch die Iris blau verfärbt war. Helen wusste, dass dies während der Steinigung geschehen war. Die Schläge, die Helen Hamilton von Ares einstecken musste, hatten ihr dasselbe Mal beschert.
Die andere Helen eilte mit den Sandalen in der Hand ein Stück den dunklen Marmorkorridor hinunter und blieb vor einer Tür stehen. In diesem Zimmer schlief ein höchstens drei oder vier Jahre altes Mädchen. Es schlug sofort die Augen auf, als hätte es Helenas Anwesenheit gespürt.
»Mami?«, wisperte das kleine Mädchen, das augenblicklich hellwach war. »Besuchen wir heute Tante Briseis, wie wir es versprochen haben?«
»Ja, Atlanta«, antwortete Helena leise, betrat hastig das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
»Gehen wir erst mit der Dame spazieren?«, fragte Atlanta. Da sie die Anspannung ihrer Mutter spürte, flüsterte auch sie.
»Heute nicht.« Helena zog Atlanta ein altes Kleid und ein Tuch an, das sie von einer Dienerin geliehen hatte.
»Aber die Leute mögen es, wenn du und die Dame in den Gärten spazieren gehen. Dann umarmen sie einander und küssen deine Hand.«
»Das liegt daran, dass Aphrodite die Liebe zu den Tieren bringt und zu allen Dingen, die wachsen, und die vermehren sich dann«, erklärte Helena mit einem traurigen Lächeln. »Deswegen
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