03 Göttlich verliebt
die Haare. Er erzählte seine Geschichte ruhig und zügig und zwang sich dabei zu einer gleichmäßigen Sprechweise.
Das Sommerland war überflutet gewesen, wie immer zu dieser Jahreszeit. Die Straßen waren unpassierbar und Schlachten in dem sumpfigen Gelände undenkbar. Da Frauen und Kinder vom Wasser geschützt waren, hatten sich fast alle Männer wie gewohnt in dieser Zeit auf den Weg nach Norden gemacht, um Artus bei seinem Kampf gegen die Barbaren zu unterstützen.
Lancelot war zurückgeblieben, um zu lernen, wie die Frauen alle möglichen Nutzpflanzen im Wasser anbauten statt in der Erde, und Artus war ebenfalls der Meinung gewesen, dass dieses Wissen eines Tages auch in Camelot von Nutzen sein konnte.
Lancelot war bei den Frauen auf den Wasserfeldern, als er die Drachenschiffe direkt in die überfluteten Ebenen segeln sah.
»Ich blieb bei den Frauen auf den Feldern, anstatt zu deinem Vater zu gehen«, stieß Lancelot hervor. »Als ich nicht mehr kämpfen konnte, stahl ich ein Schiff und rettete so viele Frauen und Kinder vor dem sicheren Tod, wie ich nur konnte. Dein Vater wurde … Er wurde getötet.«
Guinevere war klar, dass er eigentlich »gefoltert« hatte sagen wollen. Aber es spielte keine Rolle, dass Lancelot versuchte, es ihr schonend beizubringen. Sie hatte zugestimmt, sich mit einem Mann verheiraten zu lassen, den sie nicht liebte, weil sie geglaubt hatte, auf diese Weise ihren Clan retten zu können. Aber dieses Vorhaben hatte nicht funktioniert. Ihr Vater war tot und ihre Leute waren in alle Winde verstreut.
»Danke, dass du so viele gerettet hast, wie es dir möglich war«, flüsterte sie. »Dafür schulde ich dir mein Leben. Schon wieder.«
Lancelot sah sie so sehnsüchtig und verzweifelt an, dass sie die Hände ausstreckte und um sein Gesicht legte. »Es ist meine Schuld«, sagte er betroffen.
»Nein. Ich mache dir keinen Vorwurf für die verlorenen Leben. Ich segne dich für die Leben, die du gerettet hast«, sagte sie ernst und hoffte nur, dass er ihr genügend glaubte, um sich selbst vergeben zu können.
»Gwen«, hauchte er und schlang die Arme um sie.
Als er seine Lippen auf ihren Mund drückte, erschrak sie. Natürlich hatten sie oft miteinander geflüstert und sich sehnsüchtige Blicke zugeworfen, doch er hatte nie gewagt, sie zu berühren. Dies war ihr erster Kuss – das erste Mal, dass sie diese Grenze überschritten. Guinevere wusste, dass Lancelot mehr als sie darunter leiden würde, Artus zu betrügen, seinen Cousin, König und engsten Freund, denn im Gegensatz zu ihr liebte Lancelot ihn. Guinevere versuchte einen Moment lang, ihn an den Schultern von sich wegzuschieben, um ihm die Schuldgefühle zu ersparen, die er zweifellos haben würde, doch schließlich gab sie dem verzweifelten Drängen nach, das sie in Lancelot spürte.
Helen schlug das Herz bis zum Hals. Sie trocknete sich hastig die Haare ab und rannte fast zur Bibliothek, um der Erinnerung zu entfliehen.
Sie konnte Lucas’ tiefe Stimme durch die Tür der Bibliothek hören, was ausreichte, um ein leichtes Schwindelgefühl bei ihr auszulösen, und sie knallrot werden ließ.
Fahr deine Hormone runter und geh da rein, befahl sie sich. Es ist schließlich nicht so, als könnten die anderen dir ansehen, was du gerade gedacht hast.
Helen stieß die Tür auf und sofort warf Orion einen Blick in ihr Innerstes, schaute ihr in die Augen und hob eine Braue, bevor sich ein wissendes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Abgesehen von Orion, dachte sie und wäre am liebsten auf der Stelle tot umgefallen.
Die Männer erhoben sich, um Helen zu begrüßen, nur Cassandra blieb in dem großen Ledersessel sitzen, in dem ihr zarter Körper ganz winzig wirkte. Helen verbeugte sich respektvoll vor dem Orakel und stellte fest, dass Cassandra ihr iPad auf dem Schoß hatte.
»Was gibt’s?«, fragte Helen und ignorierte die wohlige Wärme, als sie sich auf den einzigen freien Platz setzte – natürlich neben Lucas.
»Ein weiterer Angriff«, antwortete Cassandra düster und reichte Helen das iPad.
»Ein Tsunami in der Türkei«, sagte Orion. Helen scrollte durch die Fotos von der überfluteten Landschaft.
»Aber wieso dort?«, fragte sie und betrachtete den Teil des Landes, der betroffen war. »Da ist keine größere Stadt in der Nähe.«
»Nicht mehr«, sagte Lucas. »Aber vor 3300 Jahren lag dort Troja.«
»Ganz schön nachtragend«, murmelte Helen.
»Die Götter werden kühner.« Cassandra lehnte sich in ihrem
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