03 Göttlich verliebt
sprach absichtlich alle Anwesenden an und nutzte die Katastrophe, um gewohnt mühelos in die Rolle des Anführers zu schlüpfen. Er ist schon immer ein guter Redner gewesen, dachte Daphne verärgert. Sie vertrauten ihm, obwohl sie wussten, wie hinterhältig er war. Sie wollten ihm vertrauen, wie Daphne es einst ebenfalls getan hatte.
»Ich schlage vor, dass wir diese Versammlung dazu nutzen, über das zu sprechen, was wir gerade erlebt haben, und zu entscheiden, wie wir nun vorgehen sollen«, verkündete Tantalus. Als sein Blick auf Phaon fiel, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. »Angefangen damit, welche Strafe Phaon für den Mordversuch am Anführer seines Hauses verdient hat.«
Andy saß mit den übrigen Nicht-Scions in der Küche – zumindest den Nicht-Scions, die nicht so fertig waren, dass sie sich hinlegen mussten. Kate hatte Noel nach oben gebracht, weil sie nicht aufhören konnte zu weinen. Noel war eine starke Frau, das hatte Andy gleich erkannt, aber nach dem, was Lucas passiert war, wäre wohl jede Mutter zusammengebrochen.
Matt und Claire warteten, bis Kate und Noel weg waren, bevor sie etwas sagten.
»Ich hätte nie gedacht, dass Helen Lucas etwas antun würde. Nie im Leben«, wisperte Claire und schaute traurig ins Leere. »Ich kann es nicht glauben.«
»Sie ist vollkommen außer Kontrolle«, flüsterte Matt zurück.
Die beiden saßen reglos da und ihre Gesichter glichen bleichen Masken. Andy kannte Helen nicht so gut, aber sie wusste, wie Bösartigkeit aussah. So etwas lernte man, wenn man eine Sirene zur Mutter hatte.
»Aber es war doch ein Unfall«, sagte Andy zu Helens Verteidigung. »Sie wollte das nicht.«
»Das macht es noch schlimmer«, erwiderte Matt hitzig. »Kannst du dir vorstellen, was passieren würde, wenn sie es will?«
Matt, Claire und Andy saßen schweigend am Tisch und belauschten die Diskussionen im Wohnzimmer. Die Scions stritten darüber, wie sie Phaon verurteilten sollten. Anscheinend war der Typ ausgesprochen unbeliebt, vor allem bei der älteren Generation. Sie alle wollten sich an ihm rächen, aber offenbar hasste ihn Daedalus vom Haus von Athen am meisten, und zwar nicht nur, weil Phaon gerade versucht hatte, seinen Sohn zu töten.
Es wurde ein junges Mädchen namens Cassiopeia erwähnt und sofort herrschte Stille im Raum. Dann wurde einstimmig entschieden, dass sich Daedalus und Phaon beim Morgengrauen zu einem Duell auf Leben und Tod treffen würden. Danach wurde die Versammlung aufgehoben. Nur Sekunden später tauchten Ariadne und Jason in der Küche auf. Ariadnes Augen füllten sich sofort mit Tränen, als sie Matt sah.
»Lucas …«, wisperte sie und schlang die Arme um seine Brust.
Claire ging zu Jason, sah ihm ins Gesicht und stellte ihm wortlos die entscheidende Frage. »Es ist schlimm, Claire. Wir haben gefühlt, wie sein Herz stehen geblieben ist«, sagte Jason tonlos.
»Aber er wird es doch schaffen, oder?«, fragte Claire. Jason zuckte nur mit den Schultern und seine Unterlippe zitterte. Claire zog ihn an sich und streichelte seinen Kopf.
Jason und Ariadne waren Heiler. Sie kannten das wahre Ausmaß von Lucas’ Verletzungen. In der Versammlung hatten sie zwar nicht darüber geredet, aber hier in der Sicherheit von Noels Küche konnten sie sagen, was vor den Vertretern der anderen Häuser nicht möglich gewesen war. Sie glaubten beide nicht, dass Lucas es schaffen würde.
Matt und Claire trösteten die Zwillinge, so gut es ging, aber sie konnten nicht viel mehr tun, als sie im Arm zu halten. Sie tauschten über Jasons und Ariadnes Schultern hinweg einen ernsten Blick. Andy wusste, was sie dachten.
Wenn Helen Lucas töten konnte, den Menschen, den sie am meisten liebte, dann konnte sie auch alle anderen umbringen.
Andy sah einen Moment lang zu, wie sich ihre neuen Freunde in den Armen lagen, und wurde das Gefühl nicht los, fehl am Platz zu sein. Sie hatte Lucas kaum gekannt und wusste nicht, wie es war, einen Bruder oder eine Schwester zu haben – geschweige denn, was man empfand, wenn er oder sie starb. Sie hatte sich schon immer gewünscht, jemanden so sehr zu lieben, wie diese vier Lucas offenbar geliebt hatten.
Andy konnte nicht fassen, dass sie wirklich genauso leiden wollte wie die anderen und dass sie fast neidisch auf ihre intensiven Gefühle war, und verzog sich deshalb durch die Küchentür nach draußen.
Sie war ein Wesen des Meeres und der Ozean tröstete sie eigentlich immer. Andy hoffte, beim Schwimmen den Kopf
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