03 Göttlich verliebt
freizubekommen, um danach für die Familie da zu sein, die so viel für sie getan hatte. Zum ersten Mal, seit sie ins Haus der Delos gekommen war, verließ Andy das Anwesen und ging zum Strand hinunter.
»Da schreitet sie, schön wie die Nacht«, sagte eine melodische Stimme, die tief und dunkel, zugleich aber hell und unschuldig klang. Unverwechselbar.
Andy erstarrte, obwohl sie wusste, dass es bereits zu spät war. Er hatte sie gesehen, also machte es keinen Sinn, stocksteif dazustehen wie ein Reh auf der Straße. Apoll war ein Wolf. Und Rehe mussten vor Wölfen flüchten.
»Du dachtest doch nicht, ich hätte dich vergessen, oder?«, fragte Apoll, als er auf sie zukam, von hinten erleuchtet von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne.
Das Wasser war nur ein paar Schritte entfernt. Ob sie es schaffen konnte?
»Das würde ich an deiner Stelle lieber lassen«, sagte Apoll, der ihre Absicht sofort durchschaut hatte. Andy schluchzte erstickt auf, denn sie war sicher, dass es mit ihr vorbei war. Sie würde einen qualvoll langsamen Tod sterben.
»Und ich würde das an deiner Stelle lieber lassen«, ertönte es aus dem Wasser. Es hörte sich fast an wie ein Echo von Apolls Worten.
Andys Kopf fuhr herum und sie sah Hector den Wellen entsteigen. Mit nacktem Oberkörper und nassen Jeans schritt er so mühelos durch die Brandung, als wäre das Wasser sein Verbündeter. Sein Gesicht, das genaue Ebenbild Apolls, war eine Maske der Wut.
Apoll lächelte seinen Scion-Doppelgänger an. »Deine Kontrolle über das Wasser ist interessant, Sohn. Woher hast du sie?«
Hector antwortete nicht. Er ging direkt auf Andy zu. »Bist du okay?«, fragte er sie. Andy nickte und warf einen misstrauischen Blick auf Apoll, als wollte sie hinzufügen »zumindest bis jetzt«. Hector stellte sich schützend vor sie und starrte Apoll an.
»Du bist aber mutig«, stellte der Gott anerkennend fest. »Hast du kein bisschen Angst, mich herauszufordern?«
»Nein«, antwortete Hector ungerührt. Apoll lachte auf. Es war fast ein Gackern – nicht menschlich und mit einem Anflug von Wahnsinn.
»Solltest du aber.« Apolls Augen glitzerten. Seine Haut strahlte in ihrem eigenen Licht, und plötzlich sah es so aus, als trüge der Gott eine Rüstung und hätte ein massives Bronzeschwert bei sich.
Doch obwohl Hector unbewaffnet und halb nackt war, zuckte er nicht zurück und zeigte auch sonst kein Anzeichen von Angst. Einen Moment später erlosch das göttliche Licht und Apolls Rüstung verschwand wieder.
»Du bist es wirklich«, stellte Apoll beeindruckt fest. »Der wiedergeborene Hektor. Und ich sollte es wissen. Ich bin in Troja mit ihm im Streitwagen gefahren.«
Hector sagte nichts. Er starrte seinen Gegner nur an. Unter seiner Haut war jeder Muskel angespannt. Andy, die nur Zentimeter hinter Hectors nacktem Rücken stand, konnte spüren, dass sich in ihm ein Sturm zusammenbraute. Da erkannte sie, dass er gegen diesen Gott kämpfen wollte.
Apolls Gesicht zuckte. Er hatte Angst vor Hector. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit verspürte Andy so etwas wie Erleichterung.
»Bald, kleiner Sohn«, sagte Apoll und spielte damit auf den Kampf an, auf den Hector so versessen war. »Schon bald werden wir wieder auf dem Schlachtfeld stehen, aber diesmal kämpfe ich für den Olymp und du für dein neu erstandenes Atlantis. Und wenn Zeus uns nicht zu solchen Tricks zwingt wie beim letzten Mal, werden wir endlich den Zyklus der Parzen beenden und feststellen, wer mächtiger ist – die Eltern oder die Scions.«
Apoll sprang in die Luft und flog davon. Hector sah ihm hinterher und dachte über das nach, was der Gott gerade preisgegeben hatte. Andy war klar, dass sie ebenfalls über Apolls Worte nachdenken sollte, aber sie konnte nichts anderes tun, als Hector anzustarren. Sie fragte sich, wie sie ihn jemals mit Apoll hatte verwechseln können.
Gesicht und Körperbau waren identisch, aber Hectors Augen waren lebendig und voller Emotionen, während Apolls Augen etwas Entscheidendes fehlte. Etwas Menschliches. Die Augen des Gottes waren so glatt und perfekt wie die einer Marmorstatue, wohingegen Hectors Blick Wildheit ausstrahlte und er so voller Gefühl war, dass er förmlich zu brennen schienen.
»Danke«, flüsterte Andy. Dieses eine Wort reichte aus, um ihm zu sagen, dass er ihr das Leben gerettet hatte.
Hector nickte knapp und machte dann abrupt kehrt. Er ging zu seinem Hemd und seinen Schuhen, die er weit oben am Strand auf einen Haufen
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