03 Göttlich verliebt
auch, dass Phaon, der zu feige gewesen war, sich in einem fairen Kampf mit Hector zu messen, in einem schmutzigen Kampf mehr Erfahrung hatte und vermutlich siegen würde. Orion konnte schwer verletzt oder sogar getötet werden.
Helen hatte das Gefühl, als würde ihr Innerstes plötzlich Flügel bekommen und versuchen, aus ihrem Mund herauszufliegen. Sie dachte nicht darüber nach, was sie tun oder nicht tun sollte, nicht an die heiligen Regeln der Gastfreundschaft oder an den Waffenstillstand, auf den sich alle geeinigt hatten. Das Einzige, woran sie denken konnte, war die scharfe Klinge in Phaons Hand.
Sie rief das Metall zu sich. Es war so ähnlich, wie wenn sie einen Blitz erzeugte, doch diesmal schuf sie keinen hellen Strahl aus Elektrizität, sondern nutzte dieselbe Kraft, um damit ein elektrisches Feld zu erschaffen und Phaon den Dolch aus der Hand zu reißen.
»Wie kannst du es wagen!«, brüllte sie, und ihre Stimme hallte wie Donner.
Das Heft von Phaons Waffe landete in ihrer Hand, und sie stürmte vor, die Klinge hoch erhoben, um Phaon damit das verrottete Herz aus dem Leib zu schneiden. Die Innenseiten ihrer Oberschenkel brannten und Helen spürte, wie der Boden unter ihr zu bocken begann. Sie sah, wie Phaon vor ihr zu Boden fiel und panisch zu ihr aufsah.
»Helen! Nein!«, schrie Lucas ihr ins Ohr und sein Körper krümmte sich zuckend gegen ihren. »B-bitte, h-hör auf«, stotterte er, als seine Kiefer unkontrollierbar aufeinanderschlugen.
Helen sah sich um, so verwirrt, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht. Lucas hatte sie an den Hüften gepackt und zog sie zurück. Ihr fiel auf, dass ihre Haut den rosa-bläulichen Perlschimmer eines Kugelblitzes verströmte. Lucas hielt sie fest, obwohl sie in diesem Augenblick heißer war als die Oberfläche der Sonne.
Sie schaltete die Ladung sofort ab und er fiel mit einem Aufschrei zu Boden. Möbel waren umgestürzt und das Erdbeben, das sie ausgelöst hatte, hatte alle Anwesenden umgeworfen. Der Fußboden unter ihr war kreisförmig verschmort und brannte an den Rändern immer noch wie ein Ring aus Feuer. Alle starrten sie entsetzt an.
Alle außer Lucas. Seine Hände, seine Brust und seine Wange waren schwarz und blutig, von ihrem Kugelblitz verbrannt bis auf die Knochen. Er wand sich auf dem Boden und hatte unerträgliche Schmerzen.
»Oh, nein!«, schrie Helen und hockte sich neben ihn. »Nein, nein, nein«, wiederholte sie hysterisch immer wieder.
Lucas stöhnte, als sie ihn berührte. Seine verbrannte Haut löste sich ab und schwebte durch die Luft wie verkohltes Papier. Er war so grauenvoll verletzt und hatte solche Schmerzen, dass Helen klar war, dass es auf der ganzen Welt keinen Ort gab, an den sie ihn bringen konnte, um sein Leiden zu lindern.
Sie brauchte eine neue Welt.
Natürlich hatte sie nicht vergessen, dass Hades vorhergesagt hatte, dass die Parzen sie dazu zwingen würden. Und sie hatte auch seine Warnung nicht vergessen, dass die Götter sie sofort herausfordern würden, sobald sie ihre eigene Welt erschuf. Aber das war ihr egal. Sie würde ein ganz neues Universum erschaffen und alle Götter in den Tartaros schicken, wenn es sein musste – sie würde einfach alles tun, damit es Lucas wieder besser ging.
Helen nahm ihn in die Arme. Als sein Herz aufhörte zu schlagen und sich seine Augen schlossen, öffnete sie ein Portal in eine neue Welt und brachte ihn dorthin.
10
D aphne berührte die Schicht aus Eiskristallen, die sich über dem verkohlten Boden gebildet hatte. Sie starrte auf das verbrannte Loch, das einmal der Wohnzimmerfußboden gewesen war. Das Eis, das erschienen war, als ihre Tochter mit Lucas verschwand, hatte das Feuer gelöscht. Daphne überlegte fieberhaft, wie sie diese Situation am besten für ihre Zwecke nutzen konnte.
Sie hatte bereits geahnt, dass die Versammlung nichts bringen würde, aber nach Helens dramatischem Abgang erreichte das Gekeife einen Höhepunkt. Doch bevor alle anfingen, sich gegenseitig in Stücke zu reißen, musste Daphne die Kontrolle übernehmen. Diese Gelegenheit durfte sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Hast du das Erdbeben verursacht?«, brüllte sie Orion über das Chaos hinweg an.
»Nein«, sagte er. Das brachte ihm mehrere ungläubige Blicke ein und so seufzte er und fuhr zögernd fort. »Es war Helen. Sie hat diese Fähigkeit von mir übernommen, als wir Blutsgeschwister wurden.«
»Und wie hat sie Phaon das Messer abgenommen?«, fragte Daedalus.
»Mit
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