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03 Göttlich verliebt

03 Göttlich verliebt

Titel: 03 Göttlich verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Angelini
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Fähigkeit der Menschheit, rational und rein zu sein, oder ihr Verlangen nach Chaos und Sex.
    Lucas marschierte direkt in Helens unentschiedenes innerliches Streitgespräch und sah alles, was in ihr verborgen war – nackte Haut, frisch und rosig nach einem heißen Bad, und verschneite Birkenwälder. Helen fühlte sich bloßgestellt und hatte das Gefühl, dass er bis in ihr Innerstes sehen konnte. Es war ihr so peinlich, dass sie aufstöhnte.
    Sie zog Lucas in eine Nische in der Ecke am Fenster und hielt die Speisekarte vor sich wie eine Mauer. Sie versuchte, die Karte zu lesen, aber sie war leer. Genau wie ihr Kopf.
    »Helen?«, sagte Lucas sanft und drückte die Karte herunter. »Du brauchst nichts vor mir zu verstecken. Das weißt du doch.«
    »Ja, k-klar«, stammelte sie zittrig.
    »Ich fürchte nichts von dem, was in dir ist«, beteuerte er. »Gutes. Schlechtes. Gruseliges. Ich kenne die Dunkelheit. Und ich würde dich niemals verurteilen, falls auch du etwas davon in dir hast.«
    »Oh.« Helen sah sich im Raum um. Ihr Blick blieb auf Goyas verstörendem Gemälde »Saturn verschlingt eines seiner Kinder« hängen. »Und was, wenn es mehr als nur etwas ist?«
    Lucas lachte. Er nahm ihr die Speisekarte weg, warf sie auf den Boden und ergriff ihre Hände. »Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich liebe?«
    »Doch.«
    »Damit meinte ich, alles an dir. Auch die merkwürdigen Dinge.«
    »Erinnere mich daran, dass ich diesen Ort niederbrenne, sobald wir gehen«, sagte sie hingerissen.
    »Auf keinen Fall.« Er sah sich die anderen Gäste an. Es waren Menschen jeder Hautfarbe, jeden Alters und aus jeder Epoche. Indianer mit Federkopfschmuck plauderten angeregt mit Piraten. Mädchen mit 80 er-Jahre-Frisuren flirteten mit Jungs aus dem England des achtzehnten Jahrhunderts. »Es gefällt mir in deinem Kopf. Es ist ein bisschen ungewöhnlich, aber ich mag es.«
    Helen sah sich um und fand alles irgendwie sinnvoll. Es wäre doch super, wenn man in ein Café gehen und sich dort mit jemandem aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort unterhalten könnte. Von so etwas hatte sie immer geträumt, und wie es aussah, brauchte sie es jetzt nicht mehr zu träumen, sondern war ein Teil davon.
    Keiner von ihnen war hungrig oder durstig, denn eigentlich waren sie nur gekommen, um etwas Leckeres zu probieren und sich an der Gesellschaft des anderen zu erfreuen. Draußen war es kühl, aber nicht unangenehm, und als Helen darauf achtete, was sie beide anhatten, fiel ihr auf, dass sie perfekt für einen Herbsttag gekleidet waren. Sie konnte sich zwar nicht erinnern, ihnen neue Sachen besorgt zu haben, aber dennoch trugen sie welche.
    »Komm mit«, sagte er und zog seinen frisch herbeigewünschten Mantel an. »Ich möchte einen Spaziergang machen, bevor es schneit.«
    Sie verließen das Café und schlenderten über das Kopfsteinpflaster, vorbei an Geschäften und Wohnhäusern, in denen alle möglichen Leute lebten. Helen hatte keine Ahnung, woher all diese Menschen kamen. Sie nahm an, dass sie sie entweder erfunden hatte oder sich an sie erinnerte. Was immer es war, auf jeden Fall basierten sie auf der Realität, was Helen irgendwie tröstlich fand. Es wäre komisch gewesen, durch eine menschenleere Stadt zu wandern oder, noch schlimmer, durch eine, in der nur roboterartige Schaufensterpuppen herumliefen.
    Die Sonne ging unter und Helen konnte Schnee in der Luft riechen, wie Lucas es vorhergesagt hatte. Die Fenster erhellten sich mit warmem Schimmer, als die Leute in den Häusern das Licht einschalteten oder eine Kerze anzündeten. Lucas hatte Helen beim Gehen den Arm um die Schultern gelegt.
    »Es gibt hier keine armen Leute. Keine Obdachlosen«, stellte er plötzlich fest.
    »Nein«, bestätigte Helen. »Hier hat jeder alles, was er braucht.«
    »Aber wie kann man dankbar für das sein, was man hat, wenn man nicht weiß, wie es ist, nicht alles zu haben, was man braucht?«
    Helen schüttelte den Kopf und sah auf den Boden. »Dieses Argument fand ich schon immer total daneben – dass wir Leute brauchen, die arm sind, damit wir anderen nicht vergessen, dankbar zu sein. Das bedeutet doch im Grunde nur, dass irgendwer leiden muss, damit sich die anderen Leute besser fühlen. Was für eine selbstsüchtige Art, die Welt zu betrachten.«
    Lucas grinste und kuschelte sich an sie. »Ganz meine Meinung. Aber du musst zugeben, dass es der menschlichen Natur entspricht, dass wir nur Dinge zu würdigen wissen, die wir uns erarbeitet haben oder

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