03 Göttlich verliebt
würde. Weder jetzt noch irgendwann.
»Natürlich. Wir reden nachher darüber.« Sie lächelte ihm beruhigend zu.
»Helen«, begann er und sah sie warnend an.
Sie stand auf, bevor er Gelegenheit hatte, ihr eine Standpauke zu halten, und zog ihn auf die Füße. »Komm mit, Mr Superklug. Ich will nach Paris. Oder Rom. Oder Stockholm.«
Er verstand nicht, was sie damit meinte, bis am Ende der Blumenwiese plötzlich die Skyline einer Stadt auftauchte. Es gab keine hässlichen Randbezirke, keine Müllberge oder Verkehrsknotenpunkte, sondern nur Blumen und dann Asphalt. Eine strahlende Stadt tauchte auf, perfekt entworfen und sauber von der Natur getrennt – wie ein Königreich in einer Schneekugel.
Sie betraten den Asphalt und die Stadt mit all ihrem Lärm und dem lebhaften Treiben umfing sie. Die Luft war erfüllt vom Duft von Röstkaffee und frisch gebackenem Brot, der sie einen halben Block weit zu einem kleinen Café lockte.
»Hier sieht es aus, als hätten New York, Wien und Reykjavik ein Baby mit Schottland bekommen«, stellte Lucas überwältigt fest.
Er schaute zu den Gebäuden auf, von denen einige sehr alt waren und an Burgen erinnerten, während andere nagelneu aussahen. Jenseits der hohen Gebäude wartete eine perfekte Natur mit Wäldern, Seen und Bergen darauf, dass sie darin wanderten, schwammen und Ski liefen.
Lucas schüttelte den Kopf, als würde er dadurch alles besser verstehen. »Das hier ist Jedestadt.«
»Ja.« Helen lachte leise auf. »Jede Stadt, in der ich nie war.«
»Ich habe dir mal versprochen, dass wir reisen würden«, sagte er mit trauriger Miene. »Es tut mir leid, Helen. Es hätte uns nur ein paar Momente gekostet, und wir hätten zusammen überallhin fliegen können. Aber ich habe dich nie mitgenommen.«
»Wir hatten anderes im Kopf«, sagte sie und nahm seine Hand. »Ich habe das hier nicht gebaut, um dir ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern um es mit dir zu teilen.«
Lucas hob das Gesicht zum Himmel und nahm die vielschichtige Mischung von Gerüchen und Stimmen in sich auf.
»Du hast das alles perfekt hinbekommen – von einer Sache abgesehen.« Lucas schluckte kräftig und sah sie lächelnd an. »Hier ist es viel sauberer als in jeder Stadt, die ich je gesehen habe.«
»Was soll ich sagen – ich stamme von Nantucket«, sagte Helen mit einem Schulterzucken. »Wir stehen halt nicht auf Dreck.«
»Ist mir aufgefallen. Hier ist sogar der Straßenschmutz sauber.« Lucas lachte und drehte sich jetzt mit dem ganzen Körper zu ihr.
Einen kurzen Augenblick lang rechnete Helen damit, dass er sie küssen würde, und die Sonne über Jedestadt schien sofort ein bisschen heller. Aber er küsste sie nicht. Er zog sich im letzten Moment zurück und wechselte das Thema.
»Hinweis entschlüsselt. Ich weiß, dass du etwas essen möchtest, weil du dafür gesorgt hast, dass wir direkt neben einem Café landen«, sagte er mit tiefer und ebenmäßiger Stimme. Er wandte sich ab und drückte ihre Hand, als wollte er sie beide aus einem Traum aufwecken. »Komm mit. Mal sehen, was du auf die Speisekarte gesetzt hast.«
»Warte. Wieso?«, fragte sie und war plötzlich ganz verlegen.
»Diese Welt ist das Spiegelbild deiner Sehnsüchte.« Er führte Helen in das gut besuchte Café, bevor sie die Chance hatte, unauffällig etwas zu entfernen. Lucas ließ den Blick über die schmiedeeisernen Tische mit den Mosaikplatten, das nicht zusammenpassende Geschirr und die freiliegenden Holzbalken über ihren Köpfen wandern und lächelte. »Das ist dein Unterbewusstsein. Ich möchte wissen, was du wirklich willst.«
Da es zu spät war, ihn aufzuhalten, folgte Helen Lucas in ihr Unterbewusstsein. Es hingen Kunstwerke an den Wänden – verrückte Kombinationen von Bildern, die man in einem Museum niemals an derselben Wand sehen würde.
Doch irgendwie lebten Ansel Adams und Toulouse-Lautrec in Helens kleiner Welt vollkommen harmonisch zusammen. Cancan-Tänzerinnen schwangen ihre Beine neben einem majestätischen Tannenwald, der tief in der weißen Pracht des Winters versunken war.
Es war alles, was Helen an Kunst und an der menschlichen Natur mochte. Sie betrachtete eine andere Wand, an der ein aufregender, fast gewalttätig wirkender van Gogh neben einem beruhigenden und geometrisch geordneten Mondrian hing.
Helen wusste, dass Lucas jede Nuance und jeden Dialog zwischen den Kunstwerken wahrnahm. Ein Bild nach dem anderen stellte Helens Unterbewusstsein die Frage, was reizvoller war – die
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