03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen
Erklärung dafür, dass ich Tanisha nicht behutsam an die Wahrheit herangeführt hatte: Ich war nicht mehr Herrin meiner eigenen Entscheidungen gewesen.
Mit Schaudern dachte ich an jene ereignisreichen Wochen unmittelbar nach Tanishas Eintreffen auf der Farm zurück: Damals hatte ich außer ihr einige andere Patientinnen zu versorgen. Gleichzeitig mussten wir Flüchtlinge aufnehmen, die ihr Obdach verloren hatten.
Kurz darauf wurde das Heilhaus zerstört. Ich konnte keine Naturmedizin bereiten und in der Folge bekam Josh eine Lungenentzündung. Dann starb Efe an der gleichen Krankheit. Und schließlich brach ich völlig zusammen.
Wäre ich nicht so überfordert gewesen von diesen vielen Ereignissen, so hätte ich Amaras Vorschlag, Tanisha zu meiner Nachfolgerin zu machen, reiflicher überdacht. Jetzt, mit dem Abstand mehrerer Wochen, war mir klar, wen wir eigentlich für diese Aufgabe vorsahen: Tanisha war hochschwanger zu mir gekommen. Auf der Flucht vor ihrer Familie war ihre Fruchtblase geplatzt. Mit verschmutzten Tüchern hatte sie die Feuchtigkeit aufgefangen. Als ich das entdeckt hatte, war ich entsetzt gewesen. Ihr hilfloses Vorgehen hätte das Baby in Lebensgefahr bringen können. Doch woher hätte sie von einer möglichen Infektion wissen sollen?
Tanisha war ganz auf sich gestellt gewesen. Ich konnte ihr deshalb keinen Vorwurf machen. Schließlich war sie ein medizinischer Laie.
„Du sollst Heilerin werden, hattest bislang jedoch nur ein wenig geholfen.
Ich hatte mir nicht richtig überlegt, was ich von dir wirklich verlange. Und du wusstest nicht, auf was du dich mit mir einlässt. Tanisha“, bat ich, „lass uns noch einmal von vorn beginnen.“
Nun sah sie mich kurz an und schlug sofort die Augen nieder: „Du hast gesagt, dass Gott mich zu dir geschickt hat, damit ich lerne. Darüber muss ich immer nachdenken. Was ist, wenn ich nicht Heilerin werden will? Wird Gott dann auf mich zornig sein?“
Du meine Güte! Was hatte ich da angerichtet! Ich hatte gegenüber der verunsicherten, liebevollen Tanisha, die lediglich ihren Platz im Leben suchte, von der Schicksalhaftigkeit unserer Begegnung gesprochen. Wie hatte ich nur so etwas Dummes tun können! Wieso hatte ich ihr keine Zeit gelassen, wie meine Lehrerinnen damals mir?
„Niemand wird zornig, wenn du nicht Heilerin werden möchtest. Sieh dir alles in Ruhe an, und wenn dir gefällt, was Ezira und die anderen tun, kannst du dich immer noch entscheiden. Das ist doch im Moment noch nicht so wichtig. Du bist hier in Sicherheit.“
Tränen liefen über Tanishas Gesicht. „Bin ich das wirklich? Ist Aids denn nicht ansteckend für mich und Faraa?“ Sie blickte mich schluchzend an.
„Choga, hat Ezira auch Aids? Und all die anderen hier? Ist es so wie auf der Farm?“
Offenbar fühlte sie sich wie jemand, den der Teufel aus der Hölle befreit hatte. Faraa spürte die Verzweiflung ihrer Mutter und begann zu schreien.
„Ich würde es dir sagen, wenn es so wäre. Aber Ezira und die anderen sind alle gesund. Und mit Josh habe ich gesprochen. Er wird Faraa nur noch nehmen, wenn du es ihm erlaubst.“
Tanisha konnte sich nicht beruhigen. Sie war zu aufgewühlt und Faraa wollte nicht aufhören zu schreien. Ihrer Mutter fehlte die Kraft, sich gerade jetzt um das Baby zu kümmern. Ich hätte die Kleine gern auf den Arm genommen, um sie sacht zu wiegen. Doch das traute ich mich nicht. Ich wollte kein zweites Mal eine unsichtbare Grenze überschreiten. Obwohl ich die Kleine auf die Welt geholt hatte.
„Ich muss dir doch eigentlich so dankbar sein für alles“, klagte sie. „Ich habe nur an mich gedacht und nicht geahnt, wie es um dich steht. Du bist jetzt bestimmt enttäuscht von mir.“
„Nein, bitte sag so etwas nicht! Der Fehler liegt einzig und allein bei mir.“
Wie viele Gefühle in ihr miteinander stritten! Sie tat mir so Leid.
Die kleine Faraa schrie unaufhörlich weiter. Ich kitzelte ihre Füßchen und tippelte mit den Fingerspitzen über ihr Bäuchlein.
Sofort beruhigte sie sich und lachte. Auch Tanisha hörte zu weinen auf. Sie blickte über die Schulter zu uns und beobachtete, was ich tat.
Josh hatte inzwischen rund ein Dutzend Eier gefunden, die er nun in einer geflochtenen Korbschale brachte. Ich lobte ihn für seinen Fleiß.
Ihm blieb nicht verborgen, wie unglücklich Tanisha war. „Ich werde jetzt fegen“, sagte er, rührte sich aber keinen Schritt. Dann balancierte er den Korb zwischen linker Hand und Brust, griff langsam
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