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03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen

Titel: 03 - Hinter dem Schleier der Tr��nen - Mein Abschied vom Harem der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Choga Regina Egbeme
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Infizierte starben; aber sie waren in der Wahrnehmung der Hinterbliebenen keine Aidsopfer, sondern Malaria oder Lungenentzündung hatten sie dahingerafft.
    Ich erklärte ihr, was ich habe, und sie fragte: „Seit wann bist du krank?“
    „Als ich bei Joshs Geburt erfuhr, dass ich infiziert bin, hörte ich so wie jetzt du zum ersten Mal, dass es so was überhaupt gibt.“
    „Aber da warst du noch keine Heilerin?“, fragte Tanisha.
    „Nein. Ich habe damit erst begonnen, nachdem es Josh schlecht ging. Da war er ein Jahr alt. Mit Amaras Naturmedizin schafften wir es, Josh wieder gesund zu machen.“
    „Dann hat er es auch?“
    Mit einem Kopfnicken gab ich das Schicksal meines Sohnes preis.
    Tanishas Stimme glich einem Flüstern: „Kann man an Aids sterben?“
    Meine inneren Stimmen schrien, dass ich jetzt lügen sollte. Doch ich hatte den ersten Schritt getan, und nun musste ich auch den zweiten machen. Ich gestand die ganze Wahrheit: „Das kommt darauf an, wie stark oder schwach der Körper ist.“
    „Und dir geht es gar nicht gut“, erwiderte Tanisha kaum hörbar. „Warum muss das so sein?“ Natürlich erwartete sie darauf keine Antwort. Wer hätte sie geben sollen? Oder dürfen? „Du weißt, dass du ..“, begann sie und wagte es nicht, zu Ende zu sprechen.
    „Ich werde früh sterben, ja.“ Ich wollte ihr keine Stärke vorspielen. Weil ich es nicht mehr konnte. Vielleicht wäre es mir auf der Farm noch einige Monate lang gelungen, um meine Schwestern nicht zu entmutigen.
    Möglicherweise hätte ich auch Tanisha noch länger im Unklaren lassen können. Doch in diesem Moment fühlte ich mich dazu nicht mehr in der Lage.
    „Du hast bestimmt große Angst vor dem Tod“, sagte sie.
    „Ich versuche, keine zu haben. Denn ich bin überzeugt, dass ich wiedergeboren werde. Aber dieser Gedanke tröstet nur ein bisschen“, räumte ich ein. Denn ich hing an meinem Leben und war noch lange nicht bereit, es loszulassen. „Ich liebe meinen Sohn über alles“, brach es aus mir hervor. „Ich möchte erleben, wie er groß wird.
    Aber ich weiß nicht, was schlimmer wäre: wenn er ohne mich zurückbliebe oder ich ohne ihn.“ Vor allem nach seiner Geburt, als die schreckliche Nachricht noch frisch war, hatte ich darüber oft nachgedacht. Doch die Bedrohung war immer weiter in den Hintergrund gerückt, je mehr uns der Alltag beschäftigt hatte. Das Verdrängen begann und hatte mit dieser unscheinbaren Begebenheit seinen Wendepunkt erreicht.
    Kurz nach Faraas Geburt wäre Tanisha fast an Kindbettfieber gestorben.

    Doch es war mir gelungen, ihr Leben zu retten. Nun stellte sie mir eine Frage, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ: „Du hast mich entbunden. Konntest du mich denn nicht anstecken?“
    „Ich habe Handschuhe getragen, Tanisha!“, rief ich entsetzt und erklärte ihr, wie vorsichtig ich vorgegangen war und welche Selbstbeschränkungen ich mir auferlegt hatte. Sie hatte es ja kurz zuvor erlebt.
    Doch Tanisha brachte einen kaum zu entkräftenden Einwand vor: „Was wäre gewesen, wenn du mit Faraa allein gewesen wärst? Hättest du sie dann ersticken lassen? Oder riskiert, sie mit deinem Blut zu infizieren?“
    Ich hätte antworten können, dass alles gut gegangen wäre, wenn ich nicht in Panik geraten wäre. Doch das sagte ich nicht. Denn es ging meiner Freundin um genau das, was mir zu schaffen machte: meine eigenen Grenzen. Die kleine Episode hatte mir gezeigt, wie schnell ich vor der Wahl zwischen zwei Übeln stehen konnte. Eine ausweglose Situation.
    „Weiß Josh eigentlich, wie es um ihn steht?“, fragte Tanisha in das mich belastende Schweigen hinein.
    „Nein“, meinte ich entschieden. „Das darf er nicht wissen.“
    Ein Kind, das Aids hat, wandelt wie ein Seiltänzer über einem Abgrund. Es wurde hinausgestoßen und wird nur dann das Gleichgewicht halten, wenn ihm niemand sagt, wie tief es fallen kann. Mein Leben lang sah ich es als meine Aufgabe an, Josh vor dem Absturz zu bewahren. Für immer vermochte ich ihn nicht zu beschützen. Ich war jedoch fest entschlossen, es so lange zu tun, wie es möglich war. Denn danach wäre seine unbekümmerte Kindheit für immer zu Ende gewesen.
    „Ich musste ihm erklären, warum wir unseren Tee brauchen“, sagte ich zu Tanisha. „Damit er das verstand, habe ich ihm früher einmal gesagt, dass alle auf der Farm eine Krankheit haben, die uns anfällig macht für andere Krankheiten. Darum der Tee, der uns schützt.“
    Tanisha blickte mich verstört an.

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