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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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Streben, durch das man graue Wolken sah. Ich hatte
    immer angenommen, dass die Bibliothek rein begrifflich gebaut
    sei, als Aufbewahrungsort für die Bücher, und dass sie darüber
    hinaus gar nicht existierte. Jetzt wurde diese Vorstellung etwas
    erschüttert. Miss Havisham bemerkte meine Verwirrung und
    zog mich zu einem großen Fenster. Obwohl wir uns nur im
    sechsundzwanzigsten Stock befanden, schienen wir sehr viel
    höher zu sein – und die im Inneren kreuzförmig angelegte
    Bibliothek erschien von außen viel gedrungener und massiger.
    Ich blickte über die meilenlangen gotischen Seitenflügel mit
    ihren regengepeitschten Außenwänden und den reich verzierten Wasserspeiern hinweg auf einen tropischen Urwald hinaus,
    dessen nebelverschleierte Baumkronen sich unter uns ausbreiteten.
    »In der BuchWelt ist alles möglich«, murmelte Miss Havisham. »Die einzigen Grenzen sind die der menschlichen Vorstellungskraft. Siehst du die anderen Bibliotheken?«
    Etwa fünf Meilen entfernt, aber noch gut erkennbar, stand
    ein weiter Turm in der dunstigen Atmosphäre, ganz ähnlich wie
    unser eigener, und dahinter noch einer. Und zu meiner Rechten
    erhoben sich noch sechs weitere. Wir waren nur eine von
    Hunderten oder gar Tausenden Bibliotheken.
    »Die, die am nächsten von uns steht, ist die deutsche«, sagte
    Miss Havisham. »Dahinter die französische und die spanische,
    dann die arabische. Die da drüben ist übrigens ist für Wali-sisch.«
    »Worauf sind sie errichtet?« fragte ich und schaute auf die
    weit unter uns liegenden Bäume. »Und wo stehen wir?«
    »Ach, wirst du jetzt philosophisch?« fragte Miss Havisham
    leicht ironisch. »Ich will dir was sagen: Wir wissen es nicht.
    Manche Leute behaupten, dass wir alle Teil einer größeren
    Geschichte sind, die wir einfach nicht sehen. Andere sagen, wir
    wurden vom Großen Panjandrum geschaffen, und wieder
    andere sind überzeugt, wir existieren nur im Bewusstsein des
    Großen Panjandrum.«
    »Und wer«, fragte ich schließlich, als ich meine Neugier einfach nicht länger zurückhalten konnte, »ist der Große Panjandrum?«
    »Komm, du kannst dir ja mal seine Statue ansehen.«
    Wir wandten uns vom Fenster ab und gelangten zur Mitte
    des Raumes, wo auf einem mit Seilen abgesperrten Podest unter
    der hohen gläsernen Kuppel ein großer Marmorblock ruhte.
    Eine blanke Messingtafel besagte: Das höchste Wesen.
    »Das ist der Große Panjandrum?« fragte ich und starrte den
    rohen Marmorblock an.
    »Nein, das ist nur die Statue des Großen P –«, sagte sie. »Genauer gesagt: Das wird die Statue des Großen Panjandrum,
    wenn wir erst einmal wissen, wie er oder sie eigentlich aussieht.
    Guten Tag, Mr Price.«
    Mr Price war offenbar Steinmetz, aber das sah man nur an
    seinem Werkzeug, das blank und unbenutzt dalag. Er selbst tat
    gar nichts, und ich glaube, er hatte auch noch nie was getan.
    »Guten Tag, Miss Havisham«, sagte er höflich, legte seine
    Zeitung beiseite und lüpfte den Hut.
    Miss Havisham machte eine ausladende Handbewegung und
    sagte: »Angeblich hat der Große Panjandrum das alles entworfen und kontrolliert alles, was wir tun. Ich glaube das nicht so
    ganz; meine Bewegungen werden von niemandem kontrolliert.«
    »Das würde sowieso niemand wagen«, flüsterte ich.
    »Wie bitte? Was hast du gesagt?«
    »Ach, nichts.«
    Sie sah mich an und hob eine Braue. »Komm, jetzt kannst du
    dem GattungsRat bei der Arbeit zusehen.«
    Sie lenkte mich den Gang hinunter zu einer Tür, die auf die
    Besuchergalerie des Großen Ratsaales führte. Die Bänke der
    Ratsmitglieder waren im Kreis angeordnet.
    »Die Hauptgattungen sitzen ganz vorn«, flüsterte Miss Havisham. »Die Untergattungen sitzen dahinter, zusammen mit
    den Delegierten der Ausschüsse und Kommissionen, die sich
    mit dem Tagesgeschäft befassen. Die wichtigsten sind die
    BuchPrüfungs-Kommission und das Inspektorat, das sich mit
    der Lizenzierung von neuen Wörtern, klassischen Erzählmethoden, Handlungskomponenten und literarischen Standards
    beschäftigt. Außerdem beaufsichtigt das Inspektorat die Arbeit
    der Jurisfiktion und die Ausbildung der Rohlinge.«
    »Und wer redet da gerade?«
    »Das ist die Sprecherin der Spannungsliteratur. Sie protestiert dagegen, dass die Detektivgeschichten zur eigenständigen
    Gattung ernannt werden. Gegenwärtig sind die Detektivgeschichten noch bei den Krimis, aber wenn sie autonom werden,
    dann werden die Abenteuergeschichten, Spionageromane und
    Psychothriller, die

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