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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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    zu sehen war, fuhr Miss Havisham einen großen Bogen, wendete und setzte zu ihrem ersten Rekordversuch an. Der Motor
    heulte auf, die Antriebsräder schleuderten Fontänen von kleinen Steinchen und Sand hoch, dann raste sie los. Ich wünschte
    mir dringend, dass alles gut gehen würde, und bis zum Ende des
    ersten Laufs passierte auch nichts. Erst als der Wagen schon
    wieder langsamer wurde und ich gerade aufatmen wollte, brach
    plötzlich das rechte Vorderrad ab und wurde unter das Fahrzeug gerissen. Das Vorderteil der Karosserie bohrte sich in den
    Sand, der Wagen schleuderte zur Seite und geriet völlig außer
    Kontrolle. Ein erschrockener Schrei erhob sich aus der kleinen
    Zuschauergruppe, als der Bluebird sich drei, vier Mal überschlug und der Motor laut aufheulte, weil die Räder keine
    Bodenhaftung mehr hatten. Der Wagen überschlug sich ein
    letztes Mal und landete auf den Rädern.
    Ich lief, so schnell ich konnte, zu der Stelle, wo der Bluebird
    zur Ruhe gekommen war. Als ich noch zweihundert Meter
    entfernt war, explodierte der Tank. Eine Feuersäule erhob sich
    und riss das drei Tonnen schwere Wrack in die Höhe. Dann
    hatte ich die Unglücksstelle endlich erreicht, zog Miss Havisham aus dem brennenden Fahrzeug und rollte sie im Sand hin
    und her, um die Flammen an ihrer Kleidung zu löschen.
    »Wasser!« schrie ich. »Wir brauchen Wasser!«
    Aber die Zuschauer sahen nur wie gelähmt zu, als ich mein
    Taschenmesser herauszog, um die Überreste des Brautschleiers
    herunterzuschneiden. Ich krümmte mich innerlich, als ich ihr
    Gesicht sah – meine Lehrerin war entsetzlich verbrannt.
    »Thursday?« murmelte sie mit geschlossenen Augen. »Bitte
    … bring mich nach Hause!«
    Ich hatte noch nie einen Doppelsprung gemacht, aber es gelang mir. Ich sprang vom Strand in Pendine direkt in Miss
    Havishams Haus. Wir landeten in Große Erwartungen in ihrem
    verdunkelten Wohnzimmer neben den Überresten der Hochzeitsparty, die niemals stattgefunden hatte. Die Uhren standen
    wie immer auf zwanzig vor neun. Dies war der Ort, wo ich sie
    kennen gelernt hatte, und dies sollte der Ort sein, wo ich sie
    zum letzten Mal sah. Ich legte sie aufs Bett und versuchte, es ihr
    so bequem wie möglich machen.
    »Kater?« 20
    »Ich bin hier in Satis Haus bei Miss Havisham. Es gibt einen
    Notfall Code-12. Ein fiktionales Fahrzeug liegt im Außenland
    am Strand von Pendine. Jemand muss die Unfallstelle sichern,
    und dann brauchen wir ganz schnell ein Räumkommando!« 21
    »Nicht gut, Chesh. Ich melde mich wieder.« 22
    »Liebe Thursday«, sagte Miss Havisham und umklammerte
    meine Hand. »War es ein Unfall?«
    »Ich weiß es nicht, Ma'am. Aber der defekte SchleuderHelm
    war gar nicht meiner. Die Sabotage galt Ihnen.«
    Sie seufzte. »Dann, dann … haben sie mich jetzt erwischt.«
    »Wer denn?«
    »Ich weiß nicht. Wir sind hier in der BuchWelt, deshalb ist es
    wohl jemand, der uns nahe steht und den wir nicht im Verdacht
    haben.«
    »Bradshaw?«
    Sie schüttelte den Kopf und begann zu husten. Einen Augenblick dachte ich, sie würde überhaupt nicht mehr aufhören. Ein
    Sanitäter der Jurisfiktion sprang in den Raum, gefolgt von
    mehreren Schwestern. Sie stießen mich beiseite, als sie eilig
    versuchten, Miss Havishams Wunden zu kühlen und zu ver
    20 »Am Apparat!«
    21 »Bin schon dran! Wie geht's ihr?«
    22 »Okay. Räumkommando ist unterwegs. Dreißig Mrs Danvers müssen
    genügen, okay?«
    binden. Aber ich konnte mich gar nicht zurückziehen. Miss
    Havisham hielt meine Hand fest und zog mich wieder zu sich
    heran.
    »Ich werde das nicht überleben«, sagte sie leise.
    »Es geht Ihnen bestimmt bald wieder besser! In Große Erwartungen überleben Sie schließlich auch bis zum Ende. Sie
    können Dickens und die Leser doch nicht im Stich lassen,
    oder?«
    »Ich fürchte, am Ende kriege ich auch noch eine Anzeige wegen Eingriffs in ein literarisches Kunstwerks«, sagte sie und
    versuchte zu lächeln, aber ihre Gesichtszüge wollten ihr nicht
    mehr gehorchen. »Aber ich werde mich um einen guten Abgang bemühen. Ich werde mich mit Pip und Estella versöhnen.
    Dafür reichen die Kräfte noch, und es ist auch ein besseres
    Ende.«
    »Miss Havisham!« flehte ich. »Bitte sagen Sie doch nicht so
    was!«
    »Du stehst mir sehr nahe«, flüsterte sie. »Dich werden sie als
    Nächste angreifen.«
    »Aber warum?«
    »Schematische Texte, Thursday. Die sind die größte Gefahr
    für die Literatur. Du musst die Fantasie und die

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