03_Im Brunnen der Manuskripte
Knotenpunkt«, sagte Deane. »Sie sollten mal
die größeren sehen! Es funktioniert alles nach den ISBN-Zahlen. Aber das
Beste ist, dass weder TextGrandCentral noch der GattungsRat wissen, dass
man sich hier unten überhaupt aufhalten kann. Es ist ein idealer Zufluchtsort, Thursday.«
Ich sah ihm direkt in die Augen. »Tweed hat den Verdacht geäußert, dass
Sie Perkins, Snell und das Dienstmädchen umgebracht haben.«
Deane blieb stehen und seufzte. »Tweed arbeitet für TextGrandCentral. Er
soll sicherstellen, dass es bei der Einführung von UltraWord™ keinen
Widerstand gibt. Er weiß, dass ich eine weitere Erprobung verlangt habe.
Deshalb hat er mir eine HandlungsAnpassung im Squire of High Potternews
angeboten, um ›meine Unterstützung zu gewinnen‹, wie er sich ausdrückte.«
»Er hat Sie zu kaufen versucht?«
»Als ich ablehnte, hat er gedroht, mich umzubringen. Deshalb sind wir
geflohen.« »Wir?«
»Ja, natürlich. Das Dienstmädchen, das ich im achten Kapitel schände und
dann in die Nacht hinausjage. Sie stirbt an Tuberkulose, und ich muss mich
zu Tode trinken. Dachten Sie, so etwas würden wir akzeptieren?«
»Aber passiert das nicht in fast allen Farquitt-Romanen? Dienstmädchen,
die von ihren grausamen Herren geschändet werden?«
»Sie verstehen nicht, Thursday. Wir lieben uns, Mimi und ich.«
»Ah!« sagte ich langsam und dachte an Landen. »Das ändert wahrscheinlich
alles.«
»Kommen Sie«, sagte Deane und winkte mich über den Knotenpunkt,
wobei er immer wieder den Fußnotofon-Nachrichten ausweichen musste.
»Wir haben uns in einer stillgelegten Seitenlinie niedergelassen. Nach
Leutnant Gusti und Fräulein Else von Schnitzler und Mrs. Dalloway und To
the Lighthouse von Virginia Woolf dachte der GattungsRat, der Innere
Monolog würde ganz groß rauskommen. Sie bauten ein riesiges Leitungsnetz für Tausende von Novellen, die dann aber niemals erschienen.«
Wir traten in einen breiten Tunnel, der fast so geräumig war wie die UBahn in Swindon, und die Nachrichten flitzten an uns vorbei wie Expresszüge.
Nach ein paar hundert Metern kamen wir zu einem weiteren Knotenpunkt
und nahmen die am wenigsten benutzte Abzweigung – kaum zwei oder
drei verirrte Nachrichten pro Minute schlichen vorbei und lösten sich
alsbald in Luft auf. Die Seitenwände dieses Tunnels waren weniger blank,
auf dem Boden hatte sich Unrat gesammelt, und von der Decke tropfte hier
und da Wasser.
»Warum haben Sie mich da rausgeholt, Vern?«
»Weil ich nicht glaube, dass Sie Miss Havisham umgebracht haben. Und
ich liebe unsere Buchwelt. Ich werde nicht zulassen, dass sie von UltraWord™ dominiert wird. Das neue System ist korrupt.«
Der Tunnel öffnete sich zu einer großen Halle, in der eine Art Siedlung
gebaut worden war. Die Gebäude waren kaum mehr als Zelte, aus denen
der rötliche Schimmer von Öl-Lämpchen herausdrang.
»Vern!« Eine dunkelhaarige, junge Frau winkte uns zu. Sie war hochschwanger, und Deane lief ihr eilig entgegen, um sie zu umarmen. Ich
beobachtete sie mit einem gewissen Maß an Eifersucht. Ich spürte, dass ich
meine Hand ganz unbewusst auf meinen eigenen Bauch gelegt hatte.
»Mimi, das ist Thursday«, erklärte Vern. Ich schüttelte ihr die Hand, und
sie führte uns in ihr Zelt. Als Sitzplatz bot sie mir eine stabile Holzkiste an,
in der einmal Genitive gewesen waren.
»Was stimmt denn mit UltraWord™ nicht?« fragte ich.
»Das System ist absolut totalitär«, sagte Deane. »Vielleicht finden Sie, dass
die Buchwelt jetzt schon überreguliert ist, aber Sie können mir glauben: Die
heutige Buchwelt ist geradezu anarchistisch im Verhältnis zu dem, was
»Merkwürdig!« sagte Tweed und ging zu der Stelle, wo er
Thursday zuletzt gesehen hatte.
Irgendetwas stimmte nicht. Er wusste, dass sie ohne ihr JurisfiktionBuch nicht springen konnte, aber sie war trotzdem
verschwunden. Nicht allmählich, wie bei einem typischen
Buchsprung, sondern absolut schlagartig.
Heep und der Protokollführer schlossen sich an. Heep hatte
gleich einen BuchHund mitgebracht, der sabbernd, kläffend
und aufgeregt jaulend herumschnupperte.
TextGrandCentral jetzt plant.« Und dann erzählte er in kurzen Worten,
was genau er entdeckt hatte. Das Problem war allerdings, dass ichmehr als
seine Theorien brauchte. Um gegen Tweed und TextGrandCentral vorgehen zu können, brauchte ich echte Beweise.
»Beweise, ja. Das war immer unser Problem«, sagte Deane. »Ich zeig Ihnen
mal,
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