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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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Weglaufen umbringen könnte, wären sie
    längst ausgestorben. Halt dich an Jerusalem, dann kann dir
    nicht viel passieren. Allerdings solltest du es nicht bei Adjektovoren oder Parataxies versuchen. Die würden wahrscheinlich
    mitsingen – und dich anschließend auffressen.«
    Sie schnaubte energisch, packte das Bündel bunter Westen
    und zog mich in Richtung des Aufzugs, der sich gerade wieder
    geöffnet hatte. Es war offensichtlich, dass das 22. Untergeschoss
    nicht ihr bevorzugter Aufenthaltsort war, und ich konnte es ihr
    nicht verdenken.

    Sie entspannte sich deutlich, während wir aus der Unterwelt in
    die geordnetere Welt der Bibliothek aufstiegen. Wir waren nicht
    allein in der Aufzugskabine, sondern wurden von einer gefleckten Jaguarmutter und ihrem Sohn begleitet, dessen Pfote voller
    Stacheln war. Er beschwerte sich bitterlich über einen Igel und
    eine Schildkröte. Die Jaguarmutter schüttelte den Kopf: »Ach,
    mein Sohn«, sagte sie. »Was hast du bloß wieder angestellt?«
    »Und?« sagte Miss Havisham, als sich die Türen geschlossen
    hatten und der Aufzug langsam in die Höhe glitt. »Wie geht es
    dir in diesem grässlichen Caversham Heights?«
    »Vielen Dank der Nachfrage«, murmelte ich. »Die Figuren
    haben große Angst, dass der Roman verschrottet wird.«
    »Sicher nicht ohne Grund, vermute ich«, sagte Miss Havisham. »Hunderte von Büchern wie Caversham Heights werden
    täglich verschrottet. Wenn man da irgendwelches Mitgefühl
    verschwendet, wird man verrückt – also hüte dich, Mädel. Im
    Brunnen der Manuskripte frisst einer den anderen. Bleib für
    dich und werd' nicht zu intim mit den Leuten. Kaum, dass du
    sie zu deinen Freunden gemacht hast, sterben sie weg. Das
    bleibt gar nicht aus. Eine Frage der erzählerischen Ökonomie.«
    »Caversham Heights ist gar nicht so übel, um da zu leben«,
    sagte ich, um ein bisschen Mitgefühl bei ihr zu wecken.
    »Ohne Zweifel«, murmelte sie und starrte zu Boden. »Ich erinnere mich gern an die Zeit, als wir noch im Brunnen waren
    und Great Expectations gebaut wurde. Ich dachte, ich wäre das
    glücklichste Mädchen der Welt, als man mir sagte, ich würde
    bei Dickens arbeiten. Charles Dickens! Ich war die Beste meines
    Jahrgangs am College und – bei aller Bescheidenheit – so etwas
    wie eine Schönheit. Ich war überzeugt, ich wäre eine wunderba-re Estella – vornehm und schön, anmaßend und stolz, aber am
    Ende doch in der Lage, die ewige Nörgelei ihrer Wohltäterin zu
    überwinden und wahre Liebe zu finden.«
    »Und was kam dazwischen?«
    »Ich war zu groß.«
    »Zu groß? In einem Roman? Ist das nicht so ähnlich, als
    wenn man beim Rundfunk die falsche Haarfarbe hat?«
    »Sie haben die Rolle einer kleinen Schlampe gegeben, die aus
    einem abgewrackten Thackeray gefischt worden war. Die blöde
    Kuh! Kein Wunder, dass ich sie so mies behandle. Die Rolle
    hätte von rechts wegen mir gehört.«
    Miss Havisham verstummte.
    »Also noch einmal«, sagte der kleine Jaguar, der den Unterschied zwischen einem Igel und einer Schildkröte nicht richtig
    begriff. »Wenn es hart ist, werf' ich es ins Wasser und hol' es aus
    seiner Schale –«
    »Söhnchen, Söhnchen!« sagte die Mutter und ließ elegant
    ihre Schwanzspitze spielen. »Jetzt hör mir mal gut zu: Ein Igel
    rollt sich zusammen, und seine Stacheln stehen nach allen
    Seiten weg –«
    »Hast du die Unterlagen für das Jurisfiktion-Examen gekriegt, die ich dir geschickt habe?« fragte Miss Havisham. »Ich
    habe dich für übermorgen angemeldet, mehr oder weniger.«
    »Oh!« sagte ich mit einem ganz falschen Ton in der Stimme.
    »Probleme?« fragte sie misstrauisch.
    »Nein, Ma'am. Ich fühle mich nur etwas unvorbereitet. Ich
    habe Angst, dass ich es vermassle.«
    »Da bin ich anderer Auffassung. Ich weiß, du wirst es vermasseln. Die Dinge sind komplizierter, als du vielleicht denkst.
    Alles, was ich erwarte, ist, dass du dich nicht blamierst und dass
    du nicht dabei draufgehst. Das wäre echt blöd.«
    »Also«, sagte der kleine Jaguar und kratzte sich am Kopf.
    »Wenn es sich zusammenrollt, ist es eine Schildkröte und –«
    »Ach, nein!« fauchte die Jaguarmutter und schlug ärgerlich
    mit dem Schwanz. »Was soll ich mit dem Jungen bloß machen,
    Miss Havisham?«
    »Keine Ahnung«, sagte Miss Havisham. »So wie ich sehe,
    sind alle Männer Idioten.«
    Die Jaguarmutter schaute betrübt auf den Boden.
    »Darf ich einen Vorschlag machen?« fragte ich.
    »Mir ist alles recht«, sagte die

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