Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
Vom Netzwerk:
mit einem Löffel. »Irgendwie
    zerfallen die Wörter zu Buchstaben. Haben Sie Mathias schon
    kennen gelernt?«
    Ich hob den Kopf, sah aber bloß eines großes rotbraunes
    Pferd, dessen Fell im Licht glänzte. Ich schaute das Pferd an, das
    Pferd schaute mich an. Dann schaute ich an dem Pferd vorbei,
    aber da war niemand sonst. Und dann fiel der Groschen.
    »Guten Morgen, Mathias«, sagte ich so höflich wie möglich.
    »Ich bin Thursday Next.«
    Perkins lachte, und das Pferd wieherte und sagte mit tiefer
    Stimme: »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Madam.
    Erlauben Sie, dass ich noch einen Augenblick weiterarbeite?«
    Ich nickte, und das Pferd wandte sich wieder seinen komplizierten Aufzeichnungen zu. Ein großes Hauptbuch lag vor ihm
    auf dem Boden, und mit einem Federkiel fügte es in gestochener Handschrift immer neue Zahlen zu den Kontoständen auf
    beiden Seiten hinzu.
    »Ein Houyhnhnm?« fragte ich. »Ebenfalls aus Gullivers Rei-sen?«
    Perkins nickte. »Mathias, seine Stute und die beiden Yahoos
    wurden 1963 als Berater für den Planeten der Affen herangezogen.«
    »Louis Aragon hat mal gesagt, die Aufgabe der Genies bestünde darin, Ideen für die Kretins zu stiften, die zwanzig Jahre
    später daherkommen«, sagte Mathias von der anderen Seite des
    Raumes.
    »Ich glaube nicht, dass Pierre Boulle ein Kretin war, Mathias«, sagte Perkins. »Aber das ist ja immer dasselbe bei dir:
    Voltaire hat dies gesagt und Goethe jenes … Manchmal denke
    ich, dass du bloß –« Er suchte nach den richtigen Worten.
    »Stammt nicht von Leonardo da Vinci der Ausspruch, dass
    Leute, die ständig zitieren, nicht ihren Verstand gebrauchen,
    sondern nur ihr Gedächtnis?« fragte das Pferd, um ihm auf die
    Sprünge zu helfen.
    »Genau«, sagte Perkins frustriert. »Genau das wollte ich gerade sagen.«
    »Tempora mutantur, nos et mutamur in illis«, murmelte das
    Pferd und starrte gedankenverloren zur Decke.
    »Das allerdings beweist nur, wie eingebildet du bist«, sagte
    Perkins. »Es ist doch immer dasselbe, wenn wir Besucher haben.«
    »Irgendjemand muss ja das Niveau in diesem öden Provinznest ein bisschen anheben«, erwiderte Mathias, »und wenn Sie
    mich noch einmal ein ›halbgebildetes Huftier‹ nennen, beiße
    ich Sie in die Kruppe, ich meine, die Arschbacken.«
    Perkins und das Pferd starrten sich feindselig an.
    »Hatten Sie nicht gesagt, es gäbe zwei Houyhnhnms?« fragte
    ich, um die Situation zu entspannen.
    »Meine Partnerin und geliebte Stute«, erklärte das Pferd,
    »weilt gegenwärtig in Oxford, Ihrem Oxford, und studiert
    politische Wissenschaften am All Souls College.«
    »Fällt das nicht auf?« fragte ich. »Ein Pferd in Oxford?«
    »Sie würden sich wundern, wie unaufmerksam Professoren
    sein können«, erwiderte Perkins. »Das Schwein Napoleon hat
    am Nuffield College dialektischen Materialismus studiert und
    mit summa cum laude bestanden. Wir müssen jetzt gehen. Hier
    entlang, bitte. Der Minotaurus wohnt im Verlies. Sie kennen
    den Mythos?«
    »Natürlich«, sagte ich. »Es handelt sich um den Sprössling
    von König Minos Frau. Halb Stier, halb Mensch, nicht wahr?«
    »Genau«, Perkins kicherte lüstern. »Die Boulevardpresse hat
    sich seinerzeit überschlagen: Kretischer Königshof schockiert
    über Stierkind, Das Kalb der Königin, Wer ist der Vater? usw.
    Wir haben das Labyrinth nachgebaut, aber der Monsterschutzverein wollte es erst inspizieren, um sicherzustellen, dass wir
    ihn artgerecht halten.«
    »Und wie war das Ergebnis?«
    »Das war vor über zwölf Jahren. Ich fürchte, die Kommission
    ist immer noch drin. Bis dahin muss der Minotaurus weiter hier
    unten leben.« Er öffnete eine Tür, die in ein Gewölbe unter der
    Burg führte. Es war dunkel und stank nach verfaulten Knochen
    und Schweiß.
    »Äh, Sie halten ihn doch unter Schloss und Riegel?« fragte
    ich, während meine Augen vergeblich versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen.
    »Allerdings«, sagte Perkins und zeigte auf einen großen
    Schlüssel, der an der Wand hing. »Denken Sie, ich bin ein
    Idiot?«
    Als sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, sah
    ich, dass der hintere Teil des Gewölbes mit rostigen Eisenstangen abgesperrt war. Die Tür in der Mitte war mit einem lächerlich großen Vorhängeschloss zugesperrt.
    »Gehen Sie nicht zu nahe ran«, sagte Perkins und holte einen
    großen Blecheimer von einem Wandbrett. »Ich habe ihn jetzt
    seit fast fünf Jahren mit Joghurt gefüttert, und er fängt an, sich
    zu

Weitere Kostenlose Bücher