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03_Im Brunnen der Manuskripte

03_Im Brunnen der Manuskripte

Titel: 03_Im Brunnen der Manuskripte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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Kuratorin in diesem Museum«, sagte Aornis,
    und plötzlich saßen wir bei uns zu Hause im Ess-Zimmer, als
    ich ungefähr acht Jahre alt war, ein altkluges, dünnes Mädchen
    mit Zöpfen. Mein Vater – der damals noch nicht genichtet
    worden war – schnitt gerade den Braten auf und sagte, wenn ich
    weiter so frech wäre, müsste ich ohne Abendessen ins Bett
    gehen.
    »Na, kommt dir das bekannt vor?« fragte Aornis. »Ich kann
    jedes beliebige Asservat aus dem Archiv holen. Wie wäre es
    damit?«
    Und dann stand ich wieder am Ufer der Themse, und mein
    Vater versuchte vergeblich, den zweijährigen Landen vor dem
    Ertrinken zu retten. Die Angst und die Hoffnungslosigkeit
    waren so groß, dass ich kaum atmen konnte. Ich schluchzte.
    »Ich kann es noch mal ablaufen lassen, wenn du willst. Ich
    kann es jede Nacht für dich ablaufen lassen. Ich kann die Erinnerung aber auch löschen. Wie findest du die hier?«
    Es wurde dunkel, und wir befanden uns in dem Gebiet von
    Swindon, wo junge Pärchen mit ihren Autos hinfuhren, wenn
    sie ungestört schmusen wollten. Ich war mit Darren hierher
    gekommen, einem jungen Mann, in den ich wohl nur deshalb
    verknallt war, weil meine Eltern unsere Beziehung so intensiv
    ablehnten. Er hielt mich auf dem Rücksitz seines Morris 8 in
    einer leidenschaftlichen Umarmung umfangen. Ich war siebzehn und sehr impulsiv, und Darren war achtzehn und äußerst
    abstoßend. Ich roch seine Bierfahne und seinen postpubertären Bocksgestank, der so intensiv war, dass man ihn mit
    bloßen Händen aus der Luft hätte herauspressen können. Ich
    sah Aornis von außen in unser Auto grinsen, und in Darrens
    heftiges Keuchen hinein begann ich zu schreien.
    »Das ist aber noch längst nicht das Schlimmste«, sagte Aornis. »Wir können auf die Krim zurückkehren und Erinnerungen auslösen, die selbst für dich zu schrecklich waren. Die
    verdrängten Erinnerungen, die du unterdrückt hast und immer
    noch unterdrückst, um überhaupt weiterleben zu können.«
    »Nein, Aornis, nicht den Angriff der Leichten Brigade, bitte –!«
    Aber schon waren wir mittendrin. Es war dieser schreckliche
    Augustnachmittag des Jahres 1973, und ich fuhr meinen Schützenpanzer mitten in die Stellung der russischen Feldartillerie.
    Von den vierundachtzig Schützen-und Aufklärungspanzern,
    die an diesem Tag in die Schlacht fuhren, kehrten nur zwei
    zurück, und von den 534 Soldaten überlebten nur 51.
    Es war der Augenblick, ehe das Sperrfeuer einsetzte. Mein
    unmittelbarer Vorgesetzter, Major Phelps, dieser Narr, saß
    lässig im offenen Turmluk, und links und rechts konnte ich die
    übrigen Panzerfahrzeuge sehen, die große Staubwolken aufwirbelten. Wir waren meilenweit zu sehen. Die erste Salve kam so
    unerwartet, dass ich dachte, es wäre ein Unfall. Ich dachte, in
    einem der leichten Panzer sei die Munition explodiert. Erst das
    Jaulen einer Granate, die dicht über unsere Köpfe hinwegflog,
    machte mir klar, dass wir unter Beschuss lagen. Ich änderte
    sofort die Richtung und begann Zickzack zu fahren. Ich wartete
    auf Befehle von Phelps, aber der hing hilflos im Turmluk. Er
    hatte seinen Unterarm und das Bewusstsein verloren.
    Der Beschuss war so massiv, dass die einzelnen Einschläge zu
    einem einzigen Donnergrollen verschmolzen, und die Druckwellen schüttelten unser Fahrzeug so heftig, dass ich Mühe
    hatte, es unter Kontrolle zu halten.
    Den offiziellen Bericht las ich zwei Jahre später. Zweiundvierzig Kanonen waren auf uns gerichtet gewesen, sie hatten in
    gut getarnten Stellungen gestanden und innerhalb von wenigen
    Minuten 387 Schuss abgefeuert, von denen fast jeder traf, denn
    die Entfernung hatte weniger als zweitausend Meter betragen.
    Es war wie beim Scheibenschießen gewesen.
    Sergeant Tozer übernahm das Kommando und befahl mir,
    zu einem Schützenpanzer zu fahren, der seine Kette verloren
    hatte und auf die Seite gekippt war. Ich hielt unmittelbar hinter
    dem Fahrzeug, während Tozer und die Mannschaft heraussprangen, um die Verletzten zu bergen.
    »Und woran hast du wirklich gedacht?« fragte Aornis, die
    angewidert die Mischung von Blut, Staub und Öl musterte, die
    sich im Fahrzeuginneren ausbreitete.
    »Flucht«, sagte ich. »Wie alle anderen auch. Wir hatten
    Angst, wir wollten da raus!«
    »Next!« schrie Tozer. »Hören Sie auf, mit Aornis zu plappern, und fahren Sie uns zum nächsten Fahrzeug.«
    Ich beschleunigte und sah, wie ein weiterer Panzer getroffen
    wurde. Der Turm segelte fünf Meter weg,

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