03_Im Brunnen der Manuskripte
ich, dankbar für die Gelegenheit, das leidige
Thema Vavoom endlich fallen lassen zu können. »Der Subtext
ist die unausgesprochene Handlung hinter den Worten. Der
Text sagt uns, was die Figuren sagen und tun, aber der Subtext
sagt uns, was sie meinen, fühlen und denken. Das Besondere
daran ist die Tatsache, dass man diese allgemeine Grammatik
nur aufgrund von Erfahrung versteht. Wenn man keine Menschenkenntnis besitzt und nicht weiß, wie Menschen miteinander umgehen, kriegt man den Subtext nicht mit. Verstanden?«
Ibb und Obb sahen sich an. »Nein.«
»Okay, ich gebe euch ein einfaches Beispiel: Auf einer Party
gibt ein Mann einer Frau einen Drink, und sie nimmt ihn, ohne
etwas zu sagen. Was hat das zu bedeuten?«
»Sie ist nicht sehr höflich?« meinte Ibb.
»Vielleicht«, sagte ich, »aber ich dachte mehr an einen Hinweis auf die Beziehung zwischen den beiden.«
Obb kratzte sich am Kopf und sagte: »Sie kann gar nicht
sprechen, weil sie … bei einem Betriebsunfall ihre Zunge verloren hat. Und er war daran schuld.«
»Viel zu kompliziert. Warum sagt jemand nicht zwingend
danke für etwas?«
»Weil sie sich schon lange kennen?« sagte Ibb langsam.
»Sehr gut. Wenn einem auf einer Party jemand einen Drink
gibt, den man schon lange kennt – also die Ehefrau, der Ehemann, die Freundin oder der Lebenspartner, dann vergisst man
schon gelegentlich, danke zu sagen. Wenn es aber der Gastgeber
oder ein anderer Gast ist, dann wird man auf jeden Fall danke
sagen. Noch ein Beispiel: Ein Paar geht die Straße hinunter, und
sie geht acht Schritte hinter ihm her.«
»Er hat längere Beine ?« schlug Ibb vor.
»Das auch, aber darum geht es nicht unbedingt.«
»Sie haben eine Autopanne gehabt!«
»Nein.«
»Sie haben sich gestritten«, rief Obb aufgeregt. »Und sie
wohnen ganz in der Nähe, sonst hätten sie den Wagen genommen.«
»Sehr gut, Ibb«, sagte ich. »Hast du das letzte Stück Schokolade aus dem Kühlschrank gegessen ?«
Es entstand eine Pause. »Nein«, sagte sie.
»Tja«, sagte ich, »weil du erst eine Pause gemacht hast, ehe
du geantwortet hast, bin ich ziemlich überzeugt, dass du sie
doch gegessen hast, Ibb. Typisches Beispiel für Subtext.«
»Oh«, sagte Ibb. »Das muss ich mir merken.«
Es klopfte an die Tür.
Ich öffnete, und Marys Ex-Lover Arnold stand vor der Tür.
Er trug einen Anzug und hielt einen kleinen Blumenstrauß in
der Hand. Noch ehe er den Mund öffnen konnte, hatte ich die
Tür schon wieder geschlossen.
»Ah!« sagte ich zu Ibb und Obb. »Das ist eine gute Gelegenheit, um Subtext zu lernen. Passt mal gut auf und versucht
herauszufinden, was jenseits der Worte geschieht – und hört
bitte auf, Pickwick mit Krümeln zu füttern!«
Ich machte die Tür wieder auf, und Arnold, der schon abgedreht hatte, kehrte eifrig wieder zurück.
»Ach!« sagte er überrascht. »Ist Mary noch nicht wieder da?«
»Nein. Genauer gesagt: Es wird noch sehr lange dauern, bis
sie wieder zurückkommt. Kann ich ihr etwas ausrichten?«
Und damit schloss ich die Tür wieder.
»Okay«, sagte ich zu Ibb und Obb. »Was geht eurer Meinung
nach vor?«
»Er möchte mit Mary reden?« schlug Ibb vor.
»Aber er weiß doch, dass sie nicht da ist«, sagte Obb. »Er
muss gekommen sein, um mit Ihnen zu reden, Thursday.«
»Und warum?«
»Vielleicht will er ein Rendezvous?«
»Gut. Und was sage ich ihm?«
»Ibb und Obb dachten angestrengt nach. »Wenn Sie ihn
wirklich nicht sehen wollten, hätten Sie ihm gesagt, er soll sich
verziehen. Also sind Sie ein bisschen interessiert.«
»Hervorragend!« sagte ich. »Und jetzt lasst uns sehen, was
weiter passiert.«
Ich öffnete die Tür erneut, und man sah einen höchst verwirrten Arnold, der breit lächelte.
»Ja, nein«, sagte er. »Ich glaube, etwas auszurichten habe ich
nicht. Es ist nur – wir hatten heute eigentlich zum Konzert von
Willow Lodge and the Limes gehen wollen …«
Ich wandte mich zu Ibb und Obb um. Sie schüttelten die
Köpfe, denn sie glaubten es auch nicht.
»Na ja«, sagte Arnold langsam, »… möchten Sie vielleicht
mit ins Konzert kommen?«
Wieder schlug ich die Tür zu.
»Er hat so getan, als wäre er gerade erst auf die Idee gekommen, Sie einzuladen«, sagte Ibb. »Aber in Wirklichkeit hat er es
die ganze Zeit so geplant. Ich glaube, er ist echt scharf auf Sie.«
Ich machte die Tür wieder auf.
»Nein«, sagte ich, »tut mir leid. Ich bin glücklich verheiratet.«
»Es ist ja kein
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