03_Im Brunnen der Manuskripte
Der Hund kann sehen – und Sie sprechen
diesen Text hier.«
Ich gab ihm ein Blatt Papier, das er sorgfältig studierte. »Also
Shadow bleibt hier, und der ausgetauschte Collie geht mit
Johnny. Wird der dann auch für medizinische Experimente
verwendet?«
»Ich glaube nicht. Er kann ja weglaufen, wenn die bösen
Männer ihn stehlen wollen. Aber Sie dürfen niemandem etwas
verraten!«
»Ehrenwort!« sagte der Tierarzt.
Ich gab ihm den Collie, und es kam wie gewünscht. Als
Johnny mit dem blinden Shadow kam, schickte der Tierarzt ihn
Wasser holen, wir tauschten die Hunde aus, und als Johnny
zurückkam, konnte »sein« Hund wieder sehen. Der Tierarzt
heuchelte völlige Überraschung, und Johnny war natürlich
begeistert. Überglücklich zog er mit seinem Hund ab.
Ich trat aus dem Büro, wo ich mich versteckt hatte.
»Na, wie war ich?« fragte der Tierarzt und wusch sich die
Hände.
»Sehr gut. Vielleicht ist sogar eine Medaille für Sie drin.«
Es schien alles glänzend gelaufen zu sein. Ich konnte mein
Glück gar nicht fassen. Vor allem aber hatte ich das Gefühl, dass
Miss Havisham stolz auf ihren Lehrling sein konnte – das war
vielleicht ein gewisser Ausgleich dafür, dass sie mich vor den
Grammasiten hatte retten müssen. Hochzufrieden öffnete ich
die Tür zur Straße und stellte zu meiner Verwunderung fest,
dass sich eine ganze Reihe von Bewohnern der Stadt versammelt hatten und auf mich warteten. Meine euphorischen Gefühle über die erfolgreiche Erfüllung des Auftrags verdünnisierten
sich, und mir wurde sehr unbehaglich zumute.
»'s ist Zeit! 's ist Zeit!« rief eine der Damen, die mich hergeführt
hatten.
»Zeit? Wofür ist es Zeit?«
»Zeit für die Hochzeit!«
»Was für eine Hochzeit?« fragte ich.
»Na, Ihre natürlich!« sagte sie fröhlich. »Sie haben Mr
Townspersons Hand berührt. Damit seid ihr verlobt. So ist es
der Brauch!«
Die Menge stürzte sich auf mich, und ich griff nicht nach
meiner Pistole, sondern nach meinem ReiseBuch, um abzuhauen. Es war die falsche Wahl. In Sekundenschnelle war ich überwältigt. Sie nahmen mir sowohl das Buch ab als auch die Pistole,
hielten mich fest und stießen mich in ein benachbartes Haus.
Dort wurde ich gewaltsam in ein Brautkleid gesteckt, das offenbar schon mehrfach benutzt worden war. Es war viel zu groß
für mich.
»Damit kommt ihr nicht durch!« schrie ich, als sie mir das
Haar kämmten und flochten, während zwei starke Männer
mich festhielten.
»Du wirst dich schon an das Eheleben gewöhnen«, zwitscherte eine Frau, die den Mund voller Haarnadeln hatte. »Am
Anfang sträuben sich alle, aber am Nachmittag sind sie meistens schon sanft wie die Lämmer. Nicht wahr, Mr Rustic?«
»Genau, Mrs Passerby«, sagte einer der beiden Kerle, die
meine Arme gepackt hatten. »Sanft wie die Lämmer.«
»Soll das heißen, dass es schon andere gab?«
»Es gibt nichts Besseres als eine gute Hochzeit«, sagte der andere Mann, »nichts, außer –«
Der andere Mann trat ihm auf den Fuß, und er schwieg.
»Nichts außer was?« fragte ich und versuchte mich erneut
loszureißen.
»Du musst stillhalten!« rief Mrs Passerby. »Jetzt hab ich es
fast durcheinander gebracht! Willst du denn wie eine Vogelscheuche aussehen am schönsten Tag deines Lebens?«
»Ja!«
Zehn Minuten später wurde ich hochrot und zerkratzt, mit
hinter dem Rücken gefesselten Händen und einem Myrtenkranz im mühsam hochgesteckten Haar zur Kirche des Ortes
geführt. Es gelang mir, mich einen Moment lang am Tor festzuklammern, aber meine Finger wurden rasch aufgebogen. Eine
Minute später stand ich vor dem Traualtar mit Mr Townsperson an meiner Seite, der einen korrekten Stresemann trug. Er
lächelte mich glücklich an, und ich starrte wütend zurück.
»Wir haben uns heute hier vor den Augen Gottes versammelt
umdiese Frau und diesen Mann …«
Ich versuchte wegzulaufen, aber die Trauzeugen hielten mich
fest. »Dieser Vorgang ist ungesetzlich und widerrechtlich!«
schrie ich und versuchte, den Pfarrer zu übertönen. Der Geistliche gab dem Küster ein Zeichen, der mir ein dickes Heftpflaster
über den Mund klebte. Wieder fing ich an zu strampeln, aber
gegen die vier kräftigen Kerle, die mich festhielten, hatte ich
keine Chance. Völlig erstarrt und mit einer eigenartigen Faszination sah ich zu, wie die Trauung voranschritt, während die
Dorfbewohner in der kleinen Kirche vor Rührung schnieften
und schluchzten. Als es ans Ja-Sagen ging,
Weitere Kostenlose Bücher