03 - Keiner wie Wir
herrscht verblüfftes Schweigen. Erst nach einigen Sekunden ist sie wieder zu vernehmen. »Ich wohne ...«
»Miss Kents Adresse!« Himmel, wie kann ein Mensch allein nur derart dämlich sein? Und hierbei handelt es sich um die Personalchefin des Unternehmens. Warum ist er noch nicht in Konkurs gegangen?
» Oh, Verzeihung Sir, ein Missverständnis ...« Inzwischen klingt sie etwas atemlos.
»Die Adresse!«
1. »Jawohl, Sir. Einen Moment bitte.«
Seufzend lehnt Andrew den Kopf zurück.
»Sir?«
Andrew wartet ...
»Wäre es nicht ratsam, Ihnen die Daten per Textnachricht zu übermitteln?«
Oh, scheinbar besteht doch noch Hoffnung! » Das wäre sinnvoll«, haucht/knurrt er in den Apparat. »Warten Sie! ... Sollte sich in den nächsten Tagen ein Tyler Saunders bewerben ... Haben Sie sich das aufgeschrieben?«
»Einen Moment bitte ... Würden Sie den Namen wiederholen?«
Mit zusammengebissenen Zähnen tut er ihr auch noch diesen Gefallen. »T-Y-L-E-R S-A-U-N-D-E-R-S.« Das müsste selbst einem Analphabeten genügen.
»Ist noti ...«
»Möglicherweise beruft er sich auf mich. Es erfolgt keine Einstellung. Verstanden?«
»Jawohl Sir.«
Andrew will das Handy gerade in seinem Jackett verstauen, als es erneut summt.
»Sir, Sie hatten mich veranlasst, Sie ...«
»Das Problem hat sich bereits erledigt. Morgen früh wird sich eine Miss Kent bei Ihnen einfinden. Ihre Nachfolgerin. Ich wünsche, dass Sie die Dame angemessen in ihr Aufgabengebiet einweisen.«
»Sehr wohl, Sir.«
Wieder hat sich Andrews Stirn in Falten gelegt. »Gail, wann ist Ihr letzter Arbeitstag?«
»In zwei Wochen, Sir.«
»Wird die Zeit genügen?«
»Nun, wenn die Dame über das erforderliche Wissen ...«
»Ja oder nein?« Vielleicht liegt es an seiner Aussprache. Zehn Jahre linguistisches Training haben anscheinend nicht genügt, und Andrew sollte dringend einen Auffrischungskurs in Betracht ziehen.
»Ja, Sir.«
Er neigt den Kopf zur Seite, seine Lider haben sich gehoben. »War das ein Seufzen, Gail?«
»Ich würde es nicht wagen, Sir ...«
In Gedanken sieht er alte, kluge Augen, hinter der Halbmondbrille und graues Haar, das immer in dieser adretten Kurzhaarfrisur liegt. Seine Mundwinkel zucken leicht.
»Wiederhören, Gail.«
»Auf Wiederhören, Sir.«
Schon sind Andrews Lider wieder geschlossen und er öffnet sie erst, als Johnson ertönt. »Wir wären dann da, Sir.«
Nein, sie befinden sich nicht vor Andrews Haus, sondern vor einer Boutique, die Damenkleidung veräußert.
»Warten Sie hier!«
Keine wie auch immer geartete ungewöhnte Reaktion erfolgt, obwohl die Situation in ihrer Gesamtheit mit Sicherheit nicht üblich ist. Johnsons Miene bleibt so unbewegt wie Andrews.
»Sehr wohl, Sir.«
* * *
E ine Karte, Sir?«
Unschlüssig betrachtet er die Verkäuferin. Ist es üblich, eine Nachricht mitzuschicken? Normalerweise tätigt Andrew nicht selbstständig seine Einkäufe. Das ist der Erste seit ...
Nun, sehr langer Zeit.
Aber wenn er mit diesem hasserfüllten Blick kalkuliert, ist die Idee vielleicht nicht schlecht. Nicht, dass er derartige visuelle Morde nicht täglich zu Gesicht bekommen würde. Dennoch ist es bei der kleinen Miss Kent anders, denn in ihrem fehlt die aufgesetzte Unterwürfigkeit.
»Ja.«
Die Verkäuferin reicht ihm eine der vorgefertigten Grußkarten. Nach kurzer Überlegung schreibt Andrew:
* * *
A ls er am Schreibtisch in seinem Haus sitzt, kommen ihm zum ersten Mal ernsthafte Zweifel.
Nicht nur an seinem Verhalten, das heute derart wenig nachvollziehbar und schädlich ausgefallen ist.
Der DS hält inzwischen nicht nur dauerhaft den Mund geöffnet, sein Blick verspricht darüber hinaus auch nichts Gutes. Doch fürs Erste gelingt es Andrew, ihn weiterhin aus seinem vordersten Bewusstsein zu drängen. Die Abrechnung kommt ohnehin, da kann er die Ruhe vor dem Sturm auch so lange wie möglich genießen.
Wieder sieht er ihre Augen vor sich. Ja, sie sind sehr grün und von diesem seltsamen Hass erfüllt. Daneben erzählen sie jedoch von jeder Menge Unschuld. Und er hat ihre Gestalt so klein und schlank in Erinnerung. Nun ja, wohl eher dürr.
Dann ruft er sich Lara in Erinnerung. Blondes Haar, volle Brüste und aufreizendes Lächeln. Das Make-up immer perfekt. In der kurzen Zeit, in der Andrew seine Bekanntschaft zu ihr pflegt, hat er sie nie anders erlebt. Und genau das ist der Deal, Teil des Handels, den er mit der jeweils aktuellen Frau für die gewissen Stunden eingeht. Eine gibt es immer.
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