03 - komplett
müssten mich dringend sprechen, dauerte es nicht mehr lange, bis ich zu diesem Schluss kam. Sie müssen ziemlich verstimmt gewesen sein, dass wir uns in einem solch ungelegenen Augenblick im Gasthof begegneten.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er ihr beredtes Schweigen zur Kenntnis nahm. „Warum haben Sie ausgerechnet Vance zum Gatten gewählt?“, fragte er.
Sylvie sah ihn herausfordernd an. Der geringschätzige Ton, in dem er von John sprach, ärgerte sie. „John ist ein guter Freund.“
„Und diese Freundschaft war Grund genug, sich über den Willen ihrer Eltern und die gesellschaftlichen Konventionen hinwegzusetzen? Die Etikette zu missachten und mit ihm durchzubrennen?“
Sie nickte heftig. „Lieber lebe ich mit John als mit einem rüpelhaften Lustmolch, der mich herumkommandiert!“ Sie sah, wie sich seine Augen verengten, und fuhr rasch fort: „Und auch einen langweiligen, eitlen Pfau, der in den feinen Kreisen als gute Partie gilt, möchte ich nicht geschenkt zum Gatten haben.“
„Und in welche Kategorie ordnen Sie mich ein?“, fragte er ruhig. „Möglicherweise sind Sie aber auch der Ansicht, dass ich zu beiden Gattungen gehöre.“
„Sie müssen recht eingebildet sein, wenn Sie glauben, dass ich Sie überhaupt in Betracht ziehen würde.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wurde ihr bewusst, dass solche Unhöflichkeiten ihr keineswegs helfen würden, ihn zum Verbündeten zu gewinnen. Außerdem hatte sie gar nicht die Absicht gehabt, ihn zu beleidigen. „Ich wollte damit nicht sagen ... Ich habe überhaupt nicht von Ihnen gesprochen. Ich bin mir sicher, Sie sind weder ein Rüpel noch ein Langweiler.“ Dass sie weder den Lustmolch noch den eitlen Pfau zurückgenommen hatte, ließ ein zynisches Lächeln auf seinem Gesicht erscheinen. Seine offensichtliche Belustigung trieb sie zu weiteren Erklärungen an. „Ich habe zwar Gerüchte über Ihren Lebenswandel vernommen, aber ich würde gewiss nicht über Sie urteilen, ehe ich Sie nicht besser kenne.“
„Dann sollte ich mich jetzt wohl besser verabschieden, solange sie mir noch wohlgesinnt sind“, meinte er.
Sie lächelte ihn derart charmant an, dass er laut auflachen musste. „Sprechen wir von John Vance. Sie kennen ihn also gut und mögen ihn?“
„Das habe ich bereits gesagt“, antwortete sie.
„Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Eltern ihn missbilligen und daher dieses Fiasko so lange wie möglich verheimlichen möchten.“ Bis sie ihn zu einem würdigen Gatten aufpoliert haben, war er versucht hinzuzufügen, doch er konnte sich gerade noch zurückhalten.
„Meine Eltern mögen John, aber selbstverständlich hat diese Eskapade ...
Spannungen zwischen unseren Familien hervorgerufen. Das ist natürlich nicht Johns Schuld“, sagte sie nachdrücklich. „Es war meine Idee durchzubrennen, doch wenn es herauskommt, wird es unweigerlich einen Skandal geben.“
„Die Ehe ist zwar nicht standesgemäß, aber sie wird wohl kaum einen Skandal verursachen.“
Sylvie hatte bereits seit einer Weile den Verdacht, dass er einem Missverständnis auflag. Im selben Augenblick, da ihr bewusst wurde, worin dieses Missverständnis bestand, dämmerte es auch Adam. Ihre Blicke verfingen sich, bis Sylvie verlegen den Kopf senkte. Noch bevor sie Gelegenheit hatte, ihn aufzuklären, fragte er barsch: „In welcher Richtung waren Sie in dieser Nacht auf der Great North Road eigentlich unterwegs?“
Sein schroffer Ton ließ Trotz in ihr erwachen. Sie verschränkte die Arme und schwieg.
„In welcher Richtung?“, fragte er ungehalten.
„In Richtung Norden“, gab sie schließlich im gleichen unfreundlichen Ton zurück.
„Wir waren unterwegs nach Schottland.“
„Dann waren Sie also noch unvermählt, als Sie mit ihm im George and Dragon nächtigten?“
Sylvie spürte, wie die Hitze in ihre Wangen stieg und sie mit flammender Röte überzog, doch sie hielt tapfer seinem bohrenden Blick stand und nickte. „Es war nur noch ein Zimmer frei, also gaben wir uns als Ehepaar aus.“
„Ja, allerdings“, sagte er bitter. Der Gedanke, dass er Gelegenheit gehabt hätte, Sylvie nach Hause zu bringen, ehe sie ihre Reise nach Gretna Green hätte beenden können, bohrte sich wie ein Dolch in sein Herz. Hätte es nach dem Diebstahl seines Pferdes nicht solch ein Durcheinander gegeben, hätte er vielleicht die Möglichkeit gehabt, weitere Fragen zu stellen und ihr auf die Schliche zu kommen. Nun verstand er, warum sie es mit ihrer Abreise so
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