03 - komplett
sie bloß, sie hätte ein wenig an die frische Luft gehen wollen. Der Spaziergang scheint ihr aber nicht gutgetan zu haben, denn sie sah wirklich niedergeschlagen aus, als hätte sie geweint. Seitdem hat sie sich in ihrem Zimmer verkrochen.“
Junes weitere Überlegungen wurden dadurch unterbrochen, dass Sylvie im Salon erschien. Sofort sprang sie auf, um ihre Schwester zu umarmen. „Ich habe gerade zu William gesagt, wie bedrückt du vorhin gewirkt hast.“
„Ich war nur müde“, sagte Sylvie. „Inzwischen fühle ich mich ein wenig besser.“
„Das ist schön! Vielleicht hat dir der Spaziergang ja doch gutgetan.“ June drückte Sylvie liebevoll die Hand und zog sie neben sich auf das Sofa. „Ich habe heute einen Brief von Mama erhalten. Sie hofft, dass es uns gut geht. Sie hofft außerdem, dass gewisse Nachrichten uns in London nicht erreichen. Sie bat mich, wachsam zu sein, und falls möglich, sie von dir fernzuhalten.“
„Gewiss meint sie damit, das, was John zugestoßen ist“, sagte Sylvie. „Vielleicht ist sie der Ansicht, dass solch schreckliche Nachrichten mich davon abhalten könnten, mein Versprechen einzulösen, mir einen Gatten zu suchen.“
„Sie versucht dich nur vor Kummer zu bewahren, Sylvie, das ist alles. Sie weiß, wie viel dir an John liegt. Ich nehme an, sie sorgt sich um deine zarten Gefühle. Mama soll nicht erfahren, dass wir die grässlichen Einzelheiten bereits von Guy Markham erfahren haben.“
Sylvie nickte und bemühte sich um ein Lächeln.
„Du kannst den Brief gerne lesen.“ June schaute zu ihrem Gatten. Taktvoll schweigend blätterte William angelegentlich eine Seite seines Buches um und ließ seine Gattin die familiären Probleme diplomatisch regeln.
„Schreibt Mama, wie es John geht?“, fragte Sylvie.
„Als sie den Brief verfasste, war er immer noch bewusstlos. Ich nehme an, solch ein tiefer Schlaf ist notwendig, um seine schlimme Kopfverletzung zu heilen.“ June hoffte, dass dies zutraf. „Zwischenzeitlich kann es ihm natürlich schon besser gehen.“
Sylvie stimmte leise zu. „Ja, wir müssen hoffen und beten, dass es ihm besser geht.“
Kurz schwieg sie, dann atmete sie tief ein und fragte: „Werden wir heute Abend ausgehen?“
June warf William einen verstohlenen Blick zu. „Nicht, wenn du es nicht möchtest.
Wir könnten zu Hause bleiben und Karten spielen, oder Schach. Du spielst doch gerne Schach, Sylvie.“
„Vielleicht würde ich doch lieber ausgehen“, sagte Sylvie und zwang sich zu einem Lächeln.
„Nun, wenn du möchtest, könnten wir Guy nach Vauxhall Gardens begleiten.“ Junes strahlende Miene zeigte, dass sie hoffte, Sylvie würde ihrem Vorschlag zustimmen.
„Wenn du natürlich eine ruhigere Umgebung bevorzugst, können wir auch das Beethovenkonzert besuchen ...“
„Vauxhall ist mir recht“, unterbrach Sylvie rasch. „Ich würde Guy tatsächlich gerne wiedersehen.“
14. KAPITEL
„Haben Sie zwischenzeitlich neue Nachrichten über den Zustand von John Vance erhalten?“, fragte Sylvie. Angespannt wartete sie auf die Antwort ihres Begleiters Guy Markham, mit dem sie auf den von Kugellampen beleuchteten Wegen durch Vauxhall Gardens spazierte.
Als er ihre Frage hörte, bekam Guys fröhliche Laune einen Dämpfer, und er seufzte tief auf. „Ich wollte eigentlich nicht mehr darüber sprechen, Miss Sylvie, auch wenn die Neuigkeiten diesmal besser sind.“ Er tippte an seinen nussbraunen Hut, um einen beleibten Mann in einiger Schritte Entfernung zu grüßen. Der jovial aussehende Gentleman stand mit einigen Freunden zusammen vor dem Podium des Orchesters.
„Pomeroy ist gerade von einem Besuch bei Janet zurückgekehrt. Er hat berichtet, dass Ihr Freund wieder bei Bewusstsein ist. Das ist gut. Allerdings haben wir den Schurken, der ihm dies angetan hat, immer noch nicht fassen können. Das ist schlecht.“ Guys besorgte Miene wich, als er sah, dass Sylvie förmlich an seinen Lippen hing. „Ich wünschte, ich hätte den Vorfall erst gar nicht erwähnt“, meinte er bedauernd. „Mir ist der Gedanke verhasst, dass ich es war, der Ihnen kummervolle Nachrichten überbrachte.“
„Aber nun haben Sie mir weitaus bessere Nachrichten überbracht“, sagte Sylvie.
„Und die haben mich glücklich gemacht. Dafür danke ich Ihnen sehr.“ Sie schaute Guy forschend an. „Hat John denn einen Hinweis geben können, wer ihn überfallen hat?“
„Der arme Bursche hat sein Gedächtnis verloren. Er erinnert sich an keinerlei
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