03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
Bewerbung geschrieben hatte – Worte, die früher einmal das Motto der Agentin gewesen waren –, flatterte wie Kirschblüten durch Rutgers’ Bewusstsein.
Ich will eine Stimme für die Toten sein.
Ich auch.
Für Sheridan. Für Rodriguez. Für alle, die durch Dante Prejeans Hände und Reißzähne gestorben waren. Selbst für die Frau, die einmal eine engagierte, leidenschaftliche Agentin gewesen war: Heather Wallace.
Mit Bad Seed hatte die Schattenabteilung – nein, um ehrlich zu sein, durch die Schattenabteilung und das FBI – Dante Prejean erschaffen. Hatten ein Kind brutal zerstört und dann wieder mit allen Ecken und scharfen Kanten der Zerstörung zusammengesetzt. Auch die Risse waren noch zu sehen gewesen, und all das nur, um herauszufinden, wie es sich verhalten würde.
Prejean würde nie mit dem Töten aufhören. Ob allein oder als Waffe von Leuten, die wussten, wie sie ihn benutzen mussten – wie zum Beispiel Alexander Lyons.
Selbst nach dem Fiasko in der Nacht zuvor in Oregon hatte die Schattenabteilung vor, freundlich lächelnd beiseitezutreten und ihm zu gestatten, so weiterzumachen wie zuvor. Er durfte noch immer so viel unschuldiges Blut vergießen und trinken, wie ihm beliebte.
Rutgers wandte den Blick vom Fenster ab. Einen Augenblick lang musste sie blinzeln, da das Licht geblendet hatte.
Es gibt so viel zu tun und nicht genug Zeit, um alles zu schaffen. Also: Setz dir Prioritäten, dachte sie.
Sie wandte sich ihrem Rechner zu und schrieb ihre Kündigung, druckte sie aus und unterschrieb sie. Sie steckte sie in ein Kuvert und schrieb mit ihrer eleganten, ausdrucksvollen Schrift den Namen des stellvertretenden Direktors darauf, ehe sie ihn auf ihre Tastatur legte.
»Wenn Sie das Bedürfnis verspüren, so etwas nochmal zu bringen, können Sie gleich Ihre Kündigung einreichen. Dann sind Sie erledigt.«
»Verstanden, Sir.«
Sie würde nie mehr jemanden in den tiefen, dunklen Wald schicken.
Sie wollte ihn allein betreten.
24
GEWALT IM HERZEN
Utah, auf der Interstate 84 Richtung Osten · 26. März
Wespen wie auf einem Bild von Giger kriechen über Dantes erdverkrustete Arme, bohren sich in seine Haut. Er spürt, wie sich die kleinen metallischen Körper seine Muskeln und Venen entlangarbeiten, um das von einem Wespennest durchzogene Herz zu erreichen.
Das ohrenbetäubende Surren hallt in seinem Schädel wider. Füllt seinen Kopf mit Lärm.
Perrys Gewicht drückt Dante tiefer in die von Wespen übersäte Erde. Wie winzige Nadeln oder die mitleidlosen Dornen einer Rose bohren sich die Stacheln in seinen Rücken, seine Rippen und seinen Hals. Immer wieder. Gift brennt wie verschüttetes Benzin unter seiner Haut.
Perry gibt einen gurgelnden Ton von sich, und Dante wird klar, dass er nicht tot ist. Papa Prejean hat vor, sie lebendig zu begraben.
Dieser Abschaum, dieser fi’ de garce . Man sollte ihn so lange quälen, bis er um Gnade winselt, und dann sollte er weiter leiden.
»Perry?«, wispert Dante. Doch das wütende Dröhnen in seinem Kopf hält ihn davon ab, Perrys Herz zu hören, so dass er nicht weiß, ob sein Pflegebruder tatsächlich noch am Leben ist.
Seine gefesselten Hände fühlen sich taub und nutzlos an, als er sich in der kalten, übelriechenden Erde unter Perrys Körper herauszuwinden versucht. Doch es gelingt ihm nur, sich noch tiefer einzugraben.
Schaufel um Schaufel fliegt ins Grab, das sich ganz allmählich füllt. Dante schüttelt den Kopf, um die Erde von seinem Gesicht zu entfernen. Außerdem versucht er weiter, sich von Perrys Gewicht zu befreien. Schweiß und Erde brennen ihm in den Augen.
Als es ihm gelingt, unter Perry herauszurobben, bemerkt er eine Bewegung über sich, und etwas Hartes, Scharfes knallt gegen seine Schläfe.
Weißes Licht breitet sich wie ein Hitzefeld vor seinen Augen aus. Der Schmerz drängt ihn wieder tiefer in die Erde. Er wird bewusstlos.
»Kleiner Bruder?«
Die tiefe, eindringliche Stimme lockt Dante aus der Erde. Eine bekannte Stimme, die er nicht zuordnen kann. Er schlägt mühsam die Augen auf. Schmerz schießt ihm durch den Kopf. Ein rotglühendes Eisen scheint sich hinter sein linkes Auge zu bohren. Ihm ist schlecht, als sei er endlos auf einem Kettenkarussell durch die Luft gejagt.
Warum kenne ich diese Stimme?
Nicht warum, Dante-Engel. Woher.
Dante hört auf, sich wie ein Rotor zu drehen. Woher springt durch seinen Schädel wie eine fehlgeleitete Kugel. Mit jedem Funken, jedem Aufschlag schießen neue Bilder durch sein
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