03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
voller Dornen und Qual, bleibt in ihm zurück.
»Einen Schlüssel machen«, wispert er und schließt die Augen.
Er stellt sich den Schlüssel vor, den Papa Prejean verwendet, um die Handschellen von seinen Handgelenken zu lösen, wenn er im Halbdunkel aufwacht. Er stellt sich vor, wie er Papa Prejean Handschellen und Schlüssel in den Schlund rammt.
Vergiss Papa Prejean und konzentrier dich. Mach den Schlüssel, damit wir endlich hier wegkommen und Perry suchen können.
Einen Augenblick mal. Ich träume, oder? Ich kann Perry nicht finden. Er ist schon lange weg.
Aber Dante weiß, dass das nicht stimmt. Er spürt noch immer Perrys Gewicht auf seinem Körper, hört noch immer das Gurgeln, das aus seinem Hals kommt.
»Mach einen Schlüssel, kleiner Bruder. Ich weiß, du kannst das.«
Ein Klang entsteht in Dante, braust in seinem gepeinigten Herzen auf. Er flackert in der Nacht auf, ein Lied aus Feuer. Etwas klickt und knackt um Dantes gefesselte Hände.
Ein weiteres Klicken, dann fallen die Handschellen ab und zu Boden.
»Na also«, sagt Von und klopft ihm auf die Schulter. »Ich habe noch nie zuvor solche Klänge gehört. Mann, Dante, das ist … wunderschön reicht nicht aus. Möglicherweise himmlisch? Aber du musst dein Lied beenden, damit du auch deinem Zauber Einhalt gebietest.«
Dante öffnet die Augen und dreht die Hände um. Blaues Feuer umtanzt und umflackert sie. Er blickt darauf. Das Gefühl, das schon einmal gesehen zu haben, erfüllt ihn – irgendwann in der Zukunft.
»Du musst das Lied verhallen lassen«, drängt Von ihn leise.
Dante schüttelt sich. Ohne nachzudenken, was er tut, klopft er die Hände mit den blauen Flammen auf die nasse Erde mit den Binsen. Der Gesang tost in seinem Inneren, wird dann aber leiser und verhallt.
Von tritt vor Dante. Seine Hände umfassen dessen Oberarme. Er hilft ihm auf die Beine.
»Merci.« Dante schenkt Von ein schiefes Lächeln. Er reibt sich die schmerzenden, blutigen Handgelenke. Seine heilenden Handgelenke.
Von umkreist ihn. Sein Gesicht wirkt trotz des verschmitzten Funkelns in seinen grünen Augen nachdenklich. »Das bist du also als Teenager, kleiner Bruder. Schmutziger kleiner Kerl, was?«
»Warte, ich habe Erde in den Augen«, antwortet Dante und zieht sich mit den Mittelfingern seitlich die Lider herunter.
Von lacht. »Schmutziger kleiner Kerl und Klugscheißer. So kennen wir dich.« Er bleibt vor Dante stehen. »Du wirst noch größer und stärker werden, und diese Haltung, die du jetzt schon an den Tag legst, wirst du auch noch mehr kultivieren.« Er legt eine Hand auf Dantes erdverschmiertes T-Shirt – etwa auf sein Herz. »Das hier? Dein Herz, dein Mitgefühl, deine Stärke – das wird nie zu wachsen aufhören, kleiner Bruder. Egal, was passiert – dein Herz bleibt dir treu.«
Schmerz windet sich wie Schlangen durch Dantes Bewusstsein, so dass er eine Antwort schuldig bleiben muss. Er schließt wieder die Augen. Stimmen flüstern in ihm, und die Wespen beginnen erneut zu surren.
Verdammter kleiner Psychopath.
Dreiineinemdreiineinemdreiineinem …
Der Junge braucht eine Lektion. Der braucht immer eine Lektion.
Dante öffnet erneut die Augen. Papa Prejean steht vor ihm. Schweiß schimmert auf seinem verhassten Gesicht mit dem Doppelkinn und den breiten Koteletten. Das T-Shirt hat unter den Achseln dunkle Flecken. Er schwingt eine erdverschmutzte Schaufel wie einen Baseballschläger in Richtung Dantes Kopf.
Dante bewegt sich übernatürlich schnell.
Er entreißt Papa Prejean die Schaufel und holt seinerseits damit aus, um sie auf Papas kahl werdenden Kopf zu schlagen.
Ist ziemlich beschissen, wenn sich das Blatt plötzlich wendet, was?
In dem Bruchteil einer Sekunde, in dem die Schaufel Papa Prejeans schockiertes Gesicht treffen soll – was glaubst du, für wen das Grab jetzt ist, fi’ de garce ? –, schiebt sich ein anderes Gesicht darüber, fast wie das unscharfe Bild aus einem Film.
Dante sieht einen dunkelhaarigen Mann mit grünlichen Augen, unter dessen rechtem Auge ein Halbmond funkelt. Es ist jemand Bekannter, jemand, den er liebt – mon cher ami –, aber die Schaufel, die durch die Nachtluft saust, lässt sich nicht mehr aufhalten.
Sie knallt gegen Papa Prejeans oder vielmehr Vons Gesicht, trifft ihn hart und schleudert ihn zu Boden. Der Rückstoß des Schlags fährt durch Dantes Arme bis in die Schultern. Die Schaufel entgleitet seinen gefühllos gewordenen Fingern.
Dante fällt auf die Knie in das blutfeuchte
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