03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
ungeordnetes Bewusstsein.
Funke: Ein großer Nomad schlüpft aus seiner Lederjacke und wirft sie über einen Stuhl. Er löst die beiden Schulterholster, legt auch sie ab und packt sie gemeinsam mit seinen Handfeuerwaffen auf die Jacke. Mit den Fingern berührt er ein kräftiges Handgelenk.
Funke: Eine Halbmond-Tätowierung unterhalb eines grünlichen Auges.
Funke: Ein schelmisches Grinsen. Ein Oberlippenbart.
»Von?«
»Genau. Keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin, aber jetzt holen wir dich erst mal aus diesem Grab raus.«
»Dabei habe ich es mir doch gerade erst bequem gemacht.«
»Wenn man mit einer Schaufel eine übergebraten bekommt, will man es sich überall bequem machen.«
Vons starke Hände legen sich um Dantes Schultern und ziehen ihn aus der bleischweren Erde. Sie heben ihn aus dem Grab und legen ihn auf die Binsen unter den großen Zypressen. Dante rollt auf die Knie. Vor seinen Augen verschwimmt alles. Er schließt sie und senkt den Kopf, während seine Schläfen qualvoll pochen.
»Was ist mit Perry?«, wispert er heiser. »Lebt er?«
»Wer ist Perry?«
» Mon ami. Er war mit mir im Grab.«
»Du warst der Einzige, der da drin lag«, antwortet Von.
»Sicher? Er lag auf mir und war schwer verletzt. Vielleicht tödlich.«
»Ich bin sicher.«
Vielleicht hat Papa Prejean Perry wieder mit heimgenommen, als er abfuhr. Möglicherweise lebt Perry noch. Ein Hoffnungsschimmer erhellt einen Augenblick lang Dantes dunkles Herz. »Wir müssen ihn finden.«
Er spürt, wie Von an seinen Fesseln zerrt und diese sich noch tiefer in sein Fleisch graben. Blut läuft ihm klebrig-feucht über die Haut.
»Verdammt. Die sind extra für Nachtgeschöpfe.«
»Nachtgeschöpfe?«
»Ja …« Von hält einen Augenblick lang inne, ehe er mit sanfter Stimme fortfährt. »Wo bist du, kleiner Bruder?«
»Hier. Auf dem Gras neben dem offenen Grab«, antwortet Dante verstört. Er öffnet die Augen und zuckt zusammen, als das Mondlicht durch die Bäume auf ihn fällt. Er dreht sich um und wirft einen Blick über die Schulter.
Ein attraktiver Typ in einem weißen ärmellosen Shirt und ausgewaschenen Jeans kniet hinter ihm. Sein dunkelbraunes Haar ist zusammengebunden, und er hat einen Oberlippenbart. Mondlicht spiegelt sich in dem Halbmond-Tattoo unter seinem rechten Auge. Er sieht ihn besorgt an. Irgendwie kommt er Dante bekannt vor.
»Wer bist du nochmal?«
Fast wie eine Antwort flüstert es in Dantes Gedächtnis und zerrt an seinem Herzen: Etwas Ausgesprochenes oder was man sich ganz stark wünscht nimmt im Herzen eine Gestalt an … wird greifbar und real.
Schmerz hämmert in Dantes Bewusstsein. »Von«, haucht er.
Ein Lächeln huscht über Vons Lippen. »Genau.« Er streckt die Hand aus und wischt Erde von Dantes Wange. »Wir lernen uns in einigen Jahren kennen, wenn du erwachsen bist. Aber momentan, glaube ich, hast du mich irgendwie in deinen Traum gezogen – in diesen Alptraum. Oder ist das eine Erinnerung?«
Dante wird unruhig, und ein kalter Schauder läuft ihm über den Rücken. »Das fühlt sich für mich alles verdammt real an. Ich kann die Frage nicht beantworten.« Er dreht sich um und starrt in die Schatten unter den Bäumen. »Gibt es denn einen Unterschied zwischen Alpträumen und Erinnerungen?«
»Ja, kleiner Bruder, den gibt es«, antwortet Von leise und gepresst. »Jedenfalls für die meisten von uns. Aber bei dir haben sie alles ins Chaos gestürzt.«
»Sie?«
»Du wirst dich später an ihnen rächen. Vergiss es für den Augenblick. Konzentrieren wir uns lieber darauf, dass du diese Handschellen los wirst.« Er hält einen Augenblick lang inne und fügt dann hinzu: »Glaubst du, es wäre möglich, dir einen Schlüssel vorzustellen? Oder dir einfach vorzustellen, die Handschellen seien fort?«
»Weil das ein Traum oder eine Erinnerung sein könnte?« Dante überlegt einen Augenblick lang. Schließlich hat er nichts zu verlieren. »Gut, d’accord . Warum nicht? Ich versuch’s mal.«
»Du bist ein Erschaffer, kleiner Bruder. Es gibt nichts, was du nicht kannst.«
Eine andere Stimme, tief und klangvoll, hallt in Dante wider: Creawdwr. Du bist ein Erschaffer. Der Einzige.
Eine Woge unerträglicher Trauer schlägt über ihm zusammen, und ihm stockt der Atem.
Lucien. Ich habe ihn im Stich gelassen.
Dann entgleitet ihm der Name wieder. Dante kann ihn nicht festhalten, nicht zurückbringen. Er kann sich nicht mal mehr an das Gefühl des Namens auf der Zunge erinnern. Doch die Trauer,
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