03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
angeschossen. Sehen wir mal, ob er auch unter Drogen oder Medikamenten steht.«
Sie umfasste das Kinn des Agenten und drehte sein Gesicht in ihre Richtung. Allerdings starrten seine nussbraunen Augen an ihr vorbei auf etwas, das sie nicht ausmachen konnte. Er hatte weder geweitete Pupillen noch einen fiebrigen Glanz. Doch die Ausdruckslosigkeit seines Gesichtsausdrucks jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken. Sie hätte sich am liebsten abgewandt, damit das Nichts in seinen Augen nicht in sie eindringen oder sie auch nur berühren konnte.
»Scheiße«, murmelte sie und zog die Hand zurück. Sein Kopf drehte sich wieder in die Ausgangsposition zurück, als hätte er sich niemals bewegt. Wieder starrte Sheridan ins Leere. Merri wischte sich die Hände an ihrer Hose ab. »Keine Rauschgifte oder Medikamente. Ich rieche nichts Chemisches«, brachte sie heraus. »Keine geweiteten Pupillen. Keine Anzeichen für eine schwere Gehirnerschütterung.«
Sie sah an Sheridan vorbei in den hinteren Bereich des Fahrzeugs. Zusammengeknüllte Einwickelpapiere von irgendwelchen Fast-Food-Ketten, Plastikbeutel, leere Gatorade-Flaschen, Kaugummipapierchen und ein leerer Urinbehälter bedeckten die Rückbank und den Boden. Ihr Blick blieb an einem kleinen Bildschirm hängen, der auf einem der Sitze stand.
»Er muss irgendwo eine Kamera installiert haben«, sagte sie.
Emmett sah auf dem Dach des SUV nach. »Jetzt ergibt der Fahrradträger Sinn«, meinte er.
»Wie wäre es, wenn ihr beide schon mal zum Haus lauft«, schlug Miklowitz vor und wies mit dem Kopf in Richtung Einfahrt, wobei ihm eine Strähne seines honigblonden Haars ins Auge fiel, »während wir uns um Sheridan und das Fahrzeug kümmern.« Gedankenverloren strich er die Strähne beiseite und holte ein Paar Handschellen aus der Tasche.
Merri nickte. »Gut. Ihr könnt das Auto durchsuchen und den Notarzt rufen.« Sie richtete sich auf und trat beiseite, um Miklowitz Platz zu machen.
Holmes ging um den Wagen herum und trat neben seinen Partner. Seine Waffe hatte er schon gezückt. Er war etwas kleiner als Miklowitz mit seinen eins achtzig und um die Taille weniger kompakt. Wahrscheinlich war er jedoch trotz seines vollen, kurz geschnittenen grauweißen Haars in einem ähnlichen Alter wie sein Kollege – so etwa Mitte dreißig.
»Welcher Schrecken wohl diese Haarfarbe hervorgerufen hat«, dachte Merri. Es gelang ihr, den Mann nicht allzu neugierig anzustarren.
»Wir kommen nach, sobald wir hier fertig sind«, sagte Holmes.
»Einverstanden«, antwortete Emmett. »Wir schauen uns da unten um und warten auf euch, ehe wir weiter vorgehen.«
»Klingt gut«, meinte auch Merri. »Von mir aus könnt ihr euch um Zombie-Boy kümmern.«
»Der Mann steht höchstwahrscheinlich unter Schock«, sagte Holmes und sah sie freundlich an. »Habt ihr Erfahrungen mit verletzten Agenten? Sterblichen?« Seine Stimme klang friedlich und gelassen, aber seine eisgrünen Augen wirkten eisig vor Verachtung.
»Ja.« Merri bemühte sich, ebenfalls ruhig und ungerührt zu klingen. Rede weiter, wenn du zu ihnen gezählt werden willst. »Haben Sie ein Problem mit mir?«
Holmes schüttelte den Kopf. »Nein«, brummte er und wandte sich dann ab, um seinem Kollegen zu helfen, Sheridan die Handschellen anzulegen.
Merri machte auf dem Absatz kehrt und ging um den SUV zu der Einfahrt, die von Bäumen überschattet war. Ihre Lederhandschuhe knackten, als sie die Fäuste ballte.
Es war im Grunde nicht erstaunlich, dass Holmes so offensichtlich Probleme mit ihr hatte. Sie fragte sich nur, was ihn am meisten ärgerte. Dass er mit einer Frau arbeiten musste? Mit einer Schwarzen? Oder dass sie Vampirin war? Oder viel leicht eine schwarze Vampirin? Was immer es auch sein mochte – es hatte jedenfalls zu einer erquicklichen gemeinsamen vierzigminütigen Fahrt vom Flughafen in Portland geführt.
Sie blieb neben dem blauen Schild stehen, auf dem PRIVAT stand, und betrachtete den Weg, der über den vernebelt daliegenden Hügel führte, umrahmt von Eichen, Kiefern und Fichten. Die frische Luft aus feuchter, dunkler Erde, Nadeln und Moos erfüllte ihre Lungen. Helle Nebelschwaden umkreisten die Baumstämme und hingen im Unterholz.
Unter ihren Stiefelsohlen knirschte der Kies. Sie lauschte den Schritten ihres Partners, der von hinten zu ihr trat. Sie nahm Emmetts Geruch wahr, ehe er selbst sie erreichte – wie Eis und Anis, kalt, klar und von einer gewissen Schärfe.
»Zeit, uns ein paar Bösewichte
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