03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
Rachen war wie ausgedorrt. Es schmeckte so köstlich, dass ihm nicht einmal der Schnitz frische Limette fehlte, den er gewöhnlich in den Flaschenhals steckte. Seine Muskeln entspannten sich etwas.
Nachdem er einen weiteren Schluck getrunken hatte, schloss Gillespie die Augen. Etwas ließ ihn nicht in Ruhe, sondern nagte an ihm und forderte seine Aufmerksamkeit. Da er nicht wusste, was es war, kehrte er in Gedanken zu seinen ersten Eindrücken von diesem Zimmer zurück. Rauchgestank. Zu müde, um nach Portland zu fahren. Das erste Motel, das er gesehen hatte …
Gillespie öffnete die Augen. Er setzte die halbleere Bierflasche auf seinem Schoß ab, während sein Puls zu rasen begann. Langsam, ganz langsam …
Also: Auf einem Satellitenbild befanden sich beide Häuser und die Autos noch auf dem Hügel. Auf dem nächsten kurz vor Sonnenaufgang waren das Haupthaus und die Autos verschwunden.
Könnte es nicht sein, dass Prejean und die anderen dem entkommen waren, was da auf dem Hügel passiert war, und war es dann nicht möglich, dass sie danach dringend einen Ort brauchten, wo Prejean sich dem Schlaf ergeben konnte? Falls er keine Wachtabletten oder stärksten Sonnenschutz parat gehabt hatte, wären sie unter einem großen Zeitdruck gewesen, um noch vor Sonnenaufgang irgendwo im Dunklen sein zu können.
Das war das erste Motel gewesen, das er auf der Fahrt vom Wells-Anwesen zur Autobahn entdeckt hatte.
Gillespie trank das restliche Bier. Die Sonne war eine halbe Stunde zuvor hinter den waldigen Hügeln versunken. Jetzt herrschte blau-violettes Dämmerlicht. Prejean sollte inzwischen wach sein. Verdammt, höchstwahrscheinlich würde er in dem Moment abhauen, in dem er die Augen aufschlug.
Wo auch immer er sich verkrochen haben mochte – und falls er überlebt hatte.
Gillespie stand auf. Er zuckte zusammen, als ihm sein üblicher Schmerz in den Rücken schoss, was immer geschah, wenn er einige Minuten lang still gesessen hatte. Gerade wollte er zum Schreibtisch, um sich ein zweites Bier zu holen, als er es sich anders überlegte. Er stellte die leere Flasche neben die Plastiktüte und schlüpfte in seine Schuhe. Ohne nachzudenken nahm er die Schlüsselkarte, öffnete die Kette und verließ sein Zimmer.
Aus den belegten Räumen fiel Licht, ein weicher Schimmer hinter zugezogenen Gardinen. Nebel hing weißlich in den Baumkronen und in der feuchten Luft.
Gillespie eilte mit langen Schritten zur Rezeption. Als er an der Eismaschine und den Verkaufsautomaten vorbeikam, bemerkte er eine braunhaarige, schwarz gekleidete Frau, die gerade die hintere Tür eines gelben Taxis öffnete, das mit laufendem Motor dastand. Sie warf Gillespie einen Blick zu, als er näher kam. Sie war jung und attraktiv, als sie ihm kurz zulächelte – ein einnehmend schalkhaftes Lächeln.
Er ertappte sich dabei, wie er den Bauch einzog und sich aufrichtete, um so groß wie möglich zu wirken. Doch die Brünette bedachte ihn mit keinem weiteren Blick. Sie stieg ins Taxi und schlug die Tür hinter sich zu. Der Wagen verließ den Parkplatz, wobei seine weißen Abgase wie der Odem eines Drachen aufstiegen.
Gillespie atmete wieder aus und seufzte, angewidert von sich selbst. Das war die richtige Art und Weise, seine Frau zurückzugewinnen: vor jungen Frauen den tollen Hecht zu markieren. Himmel.
Eine Glocke läutete, als er die Glastür zur Rezeption aufmachte und offenhielt, damit eine junge Asiatin mit kurzem schwarzen Haar hinauskonnte. Sie nickte ihm dankend zu. Ein hübsches Mädchen mit auffallend grünen Augen folgte ihr wie ein Entenküken seiner Mutter.
Er betrat die Rezeption, und die Tür fiel hinter ihm zu. Die schwergewichtige Geschäftsführerin des Motels stellte den kleinen Fernseher, der hinter der Theke stand, auf stumm und erhob sich.
Ihr Gesicht erhellte ein liebenswürdiges Lächeln. Sie nickte grüßend, wobei ihre bläulich gefärbten Korkenzieherlocken bei jeder Bewegung auf und ab sprangen. »Mr. Gillespie«, sagte sie. »Ist mit dem Zimmer alles in Ordnung?«
»Kein Problem«, antwortete Gillespie und erwiderte ihr Lächeln. Er holte seine Dienstmarke aus der Gesäßtasche seiner Hose und legte sie aufgeklappt auf die abgewetzte Theke neben einen Kartenständer mit Postkarten von Oregon. »Ich arbeite für die Innere Sicherheit«, log er.
Das Lächeln der Frau verschwand, und sie runzelte die Stirn. Sekundenlang betrachtete sie eingehend seine Marke, ehe sie sie sorgfältig wieder auf die Theke legte – als
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