03 - Saison der Eifersucht
nehmen, wie ich es versprochen habe, und dann dir das Feld
überlassen.«
Harriet trat ans
Fenster, um zu beobachten, wie die Herren vorbeigingen. Sie stieß einen leisen
Seufzer aus. Der Marquis sah so hinreißend gut aus. Aber so erfahren. Er hatte
seinen Freund lächerlich gemacht, und das setzte ihn in ihren Augen herab.
Trotzdem - er sah genau aus wie ein Held in einer Romanze, und es war so
demütigend, dass sie nie an sich denken, sondern ihre Gedanken nur auf
geeignete Verehrer für die Zwillinge richten durfte.
Der Marquis drehte
sich um und lächelte und schaute ihr ins Gesicht. Es war ganz so, als hätte er
erwartet, dass sie ihm vom Fenster aus nachsah, wie ein ... wie ein
mondsüchtiges Kalb, dachte Harriet und wandte sich ab. Es war wichtig, dass sie
schnell feste Freundschaften mit den anderen Anstandsdamen auf dem Ball schloß.
Der schöne Marquis war offenbar ein Wüstling. Nicht passend, sagte ihr die
Stimme ihrer Mutter ins Ohr. Überhaupt nicht passend!
Viertes Kapitel
Der Frühling bewirkte im West End von
London eine geradezu fieberhafte, verfrühte Hektik. Es war, als handelte es
sich um den ersten Abend der Saison und nicht lediglich um den Beginn der
Vorbereitungen darauf.
Noch bevor die
Lampenanzünder ihre Runde gemacht hatten, konnte man in den Fenstern der
Stadthäuser die Kerzen wie Leuchtkäfer von einem Zimmer ins andere wandern
sehen, als die jungen Damen und ihre Zofen nach all den wichtigen Schleifen und
Federn und Fächern suchten. Der Geruch von leicht angesengten Haaren, die um
Hunderte von Lockenscheren gewunden wurden, lag in der Luft. Lakaien in Livree
flitzten durch die Straßen und überbrachten Botschaften von Lord X und Miss Y.
Lambeth Mews, am Ende der Clarges Street, war von lärmender Geschäftigkeit
erfüllt - die Stallknechte putzten die Kutschen und polierten den Lack
auf Hochglanz.
Harriet hatte für
die Saison eine Equipage gemietet, wobei sie sich, vorsichtig wie sie war, für
eine geschlossene entschieden hatte. Die Zwillinge hatten geschmollt, weil es
ihnen lieber gewesen wäre, ihre Reize in einer offenen Kutsche darzubieten,
aber Harriet war unerwartet fest geblieben. Das englische Wetter war
trügerisch; sie wollte das Haynersche Geld nicht an so extravagante Ausgaben
wie zwei Kutschen verschwenden oder ihre Schützlinge völlig durchnässt am Ziel
ankommen lassen.
Nach einigem
Protestieren hatten die Zwillinge jedoch wohlerzogen nachgegeben, genauso wie
sie die sehr wenigen anderen Einschränkungen, die ihnen Harriet auferlegte,
hinnahmen. Als Harriet ihr Kleid für den Ball aus dem Schrank holte, wurde sie
dennoch von einem schmerzlichen Gefühl des Unbehagens gequält. Sie war Sarah
und Annabelle nicht nähergekommen. Sie waren reizend zu ihr und verhielten sich
immer korrekt, aber manchmal ertappte sie sie dabei, wie sie verstohlene Blicke
austauschten, und es bedrückte sie, dass sie nicht wußte, was sie wirklich von
ihr hielten. Dann schüttelte sie die Zweifel ab. Sie waren ja eigentlich noch
in Trauer. Ihr Vater war erst vor kurzer Zeit gestorben. Es war nur natürlich,
dass sie sich gegen die Welt zusammentaten. Harriet war, zunächst ein bisschen
schockiert gewesen, als sie erfuhr, dass Sir Benjamin nicht wollte, dass seine
Töchter um ihn Trauer trugen und dass er den strengen Befehl hinterlassen
hatte, sie sollten nicht einmal in Halbtrauer auftreten.
Harriet hatte
beschlossen, bei ihrem ersten Erscheinen in der Öffentlichkeit etwas Gedämpftes
zu tragen, wie es ihrer Rolle als Anstandsdame entsprach. Sie hatte sich ein
Kleid aus silbergrauem Moiré machen lassen. Die vornehme Schneiderin hatte es
trotzdem für Harriets eher ländliche Vorstellungen zu einer zu modischen
Angelegenheit gemacht, da es ein tiefes Dekolleté hatte, eine hohe Taille und
mit drei üppigen Volants abschloss.
Sie fragte sich, ob
sie nach Emily, der Zofe, klingeln sollte, damit ihr diese mit den Bändern
half, aber sie beschloss dann, sich -lieber allein anzuziehen, weil Emily
etwas an sich hatte, das sie nicht recht mochte - ein unangenehmes Gefühl
für Harriet, die dazu neigte, allen Leuten erst einmal Vertrauen entgegenzubringen.
Sie legte die
Brennschere zum Erhitzen auf den kleinen Spiritusofen und dachte über die
früheren Bewohner von Nummer 67 nach. Was für andere junge Damen hatten wohl in
diesem Zimmer gewohnt und sich in der fremden Umgebung auf einen Ball vorbereitet?
Harriet hatte das Schlafzimmer neben dem Speisezimmer im ersten Stock für
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